Freiraum:Dreamland

Treffen mit Gott

von Martin Teuschel

Zum gesamten Inhalt von www.berlinerplakate.deZum Seitenanfang Ich war noch nicht lange eingeschlafen, da hörte ich seine Stimme. Ich wusste sofort, die Stimme gehört ihm. Und obwohl ich wusste, das ich schlief war mir klar: "Das hier ist kein Traum." Nein, er sprach zu mir, er hatte mir zu verkünden. Ich hatte Angst, ich fürchtete mich, es war die Angst, die nahender Wahn weckt. 

Er wusste um diese Angst und sprach: " Fürchte dich nicht." Das klang mir vertraut, doch erst in dieser Nacht verstand ich die Bedeutung dieser bekannten Worte.

 Ich ging mit ihm. Er brachte mich in eine Leere, in der zwei Stühle standen. Auf dem einen war er. Der andere war leer. Er war schwer fassbar, ich blickte auf seine unergründliche Herrlichkeit, die ihre Form, Farbe und Gestalt fließend wechselte. Der Fluss war zugleich äußerst beständig, als ob jede seiner Erscheinungen, während des Wechselns immer vorhanden blieb. Je länger ich ihn schaute, desto mehr Götter und Dämonen unterschiedlicher Kulturen wurden mir gewahr. Er zeigte mir sein Abbild. Zunächst war ich entsetzt. Bedeutete dies, er war alle Götter? Alle anderen Religionen wären genauso wahr und nahe bei ihm, wie meine? Worin lag der Unterschied? Kultur und Erziehung?

 Einem Mensch einer anderen Kultur, winkte gleiches Seelenheil wie mir? Mir wurde schwindelig. Angst erzeugte Zweifel an die Absolutheit meiner Religion und die Anwesenheit Gottes. "Fürchte dich nicht", vernahm ich wieder seine Stimme. Ihr Klang bestätigte mir seine Anwesenheit. Das konnte nur Gott sein. Jeder Zweifel war gewichen. Manche Dinge weiß man, wenn es darauf ankommt. Der andere Stuhl blieb leer. Trotzdem war mir seltsam zu Mute, einerseits sah ich ein Wunder.

 Es war größer, als meine Religion, die jeder Abbildung entsagt, erlaubt. Andererseits wusste ich, wenn er mich holte und ich offensichtlich lebte, wollte er mir Bestimmtes zeigen. Und in mir lag die Angst dieses zu verkennen oder falsch zu deuten. 

Wieder sprach er: "Fürchte dich nicht!". Er ließ mich nicht allein. 

Selbst nicht in meinen Gedanken. Meinen Glauben entgegen kam der Gedanke der leere Stuhl verwies auf Gottlosigkeit. Eine Welt, in der es keinen Gott gibt. Atheismus. Dort saß keiner. Ich glaubte an Gott. Der eine Sitz beinhaltete den Glauben an Gott. Der andere seine Abwesenheit. Plötzlich kam mir der Gedanke, mein Leben sei ohne Gott. Ich wäre unreligiös. Ich erinnerte mich an den Lebensabschnitt, in dem ich den Glauben an Gott verloren hatte. Vielleicht war das Gefühl ohne Gott zu sein ähnlich: Doch es war nicht das gleiche. Zweifel ist Bestandteil des Glaubens. Schließlich hatte ich zuvor viele Jahre das Gefühl des Gottesbewusstseins erlebt. 

Ein unreligiöser Mensch kennt dieses Gefühl nicht. Stattdessen, das war mir zuvor nicht in den Sinn gekommen, kannte er ein anderes Gefühl. 

Er fühlte sich ohne Gott. Sein Leben war auf die Natur des Menschsein ausgerichtet. Ein Gefühl, das mir immer verwehrt bleiben würde. Natürlich richtet er sein Leben auch auf gemeinsame, von anderen gleich empfundene Lebensinhalte aus. Und vollzieht Handlungen, die religiösen ähneln. Zum Beispiel Engagement für Natur, Soziales oder Zugewinn an materiellen oder geistigen Gütern. Ich ließ meine Gedanken ruhen. Atmete tief durch und betrachtete die beiden Stühle. Ich sah hin: Gott existiert und Gott existiert nicht. 

Es wirkte absurd, doch wer außer ihm könnte ein solches Wunder sein? Und darin lag mir die Bestätigung seiner Wirklichkeit. Ich fragte mich kurz, was diese Erkenntnis für die Menschen bedeutete und fand schnell die Antwort in Krieg und Verfolgung, die oft aus religiösen oder antireligiösem Antrieb geschehen sind. 

Mir war klar, das Krieg und Verfolgung für religiöse und antireligiöse Ziele aus Mangel an Dialog, Kenntnis und Toleranz der anderen Seite, aber auch aus Verblendung politischer Führer entstanden sind. 

Gegen die Verblendung der Führer wusste ich kein Mittel, aber um die Schwierigkeit des Dialogs in religiösen Dingen fiel mir eine Antwort zu. Vielleicht vom Herzen. Das Gefühl und das jeweilige Wissen, das religiöse und unreligiöse Menschen haben, erschwert ihren Dialog um das Verständnis des anderen. Das liegt in der gefühlten Bedeutung des Gesprächinhaltes: 

Dem Versuch der Überzeugung. Jeder Sprecher lehnt instinktiv die Inhalte des anderen ab, weil deren Inhalte vom eigenen Lebenssinn stark abweichen. 

Ohne diese bewusste Erkenntnis versuchen beide den anderen von der Richtigkeit ihres Erlebens zu überzeugen. Doch das ist unmöglich, denn die Veränderung des religiösen Verständnis zu dem des Gesprächspartners erschüttert beide in ihren Grundfesten und stellt die gesamte Lebenssicht in Frage. 

Deshalb können die miteinander Sprechenden den anderen nicht retten, sondern nur verärgern, wenn sie bei dem Versuch der überzeugung bleiben. 

Solche Unterhaltungen enden häufig im bösen Streit. Haben beide Gesprächspartner das und die Wichtigkeit des Werts für das Lebensgefühl in ihnen verstanden, ist der Weg für einen Dialog frei.

 Beide Seiten können dem anderen zuhören und sich in den anderen hineinversetzen. Sie könnten die unterschiedliche Sicht der Welt verstehen und bestenfalls Anteil an den damit verbunden Gefühlen haben.

 Neugier kann instinktive Abwehr ersetzen. Das neu erworbene Wissen ermöglicht ihnen den Lebensinhalt des anderen zu respektieren, nie aber ihm rest- und zweifellos nachzuempfinden. 

Denn beide besitzen gegensätzliches Wissen und das damit verbundene Gefühl, das unteilbar ist: Das Wissen um die Existenz Gottes.

 Dieses Gespräch öffnet die Möglichkeit der Vertiefung, die nicht nur Toleranz ermöglicht, sondern auch Nähe. 

Die Frage nach der Religion stellt man nicht jedem. Und wenn man sie stellt, wie bei jeder ernstgemeinten Frage, sucht man keinen Streit, sondern Antwort. 

Letztlich bietet das Gespräch die Gelegenheit der anderen Person zu bestätigen, welche Wichtigkeit sie im eigenen Leben hat. 

Eine weitere Schwierigkeit, die diese Menschen trennt findet sich in Deutschland sprachlich.

 Die einen werden durch positive Wörter, wie gläubig oder religiös benannt. Die anderen durch das negative Gegenteil: Ungläubig, Atheist, gottlos oder unreligiös. Eine positive Bezeichnung kann hier helfen: Jetzt-orientierte. Im Gegensatz zu denen, die durch Religion auf das Leben und die Zukunft nach dem Tod orientiert sind. Und plötzlich wurde mir unangenehm. Ich spürte die Falschheit dieses Letzten Gedankens. Er ließ mich meinen Irrtum spüren. Es ist besser, wenn Jetzt-orientierte eine treffende Bezeichnung finden. Mir, blieb ihr Bewusstsein schließlich verschlossen: Ich stand vor Gott. Und er nickte mir sanft zu.


Mehr dazu:Mail von Iris


 


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