Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010

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www.berlinerplakate.de: Joshua und der Esel von Martin Teuschel

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Neulich in der Ewigkeit schien die Sonne auf Silos Fell. Silo schloss seine lang bewimperten Augen. Er mochte es, wenn Joshua ihn bürstete. Und Joshua liebte es Silo zu bürsten. Der Siebenjährige strich nicht nur in die Richtung, die der alte Jan ihn gelehrt hatte. Joshua strich auch gegen die Wuchsrichtungen und manchmal, das gefiel Silo ganz besonders, drückte das Kind die Bürste fest auf den Esel und drehte kleine Kreise. Nie bewegte er seine Hand gedankenlos. Im Gegenteil: Joshuas Augen ruhten stets auf Silos Körper, während er das Eselfell pflegte. Nur manchmal schloss Joshua seine Augen. Dabei spürte er die unsichtbare Verbindung, die es zwischen ihm und dem Tier. Sonst sah Joshua immer genau hin, denn der Esel signalisierte ihm nicht nur mit seinen langen Ohren, was dem Tier besonders gefiel. Hatte Joshua den Esel unangenehm berührt, so dass es diesen störte, bemerkte Joshua dessen Missfallen. Das wurde allerdings immer seltener. Joshua und Silo kannten sich sehr gut. Der Esel verzieh seinem Freund nach einiger Zeit auch gerne einen Fehler und muckste nicht. Nie hatte er daran gedacht den kleinen Menschen zu beissen. Gebissen hatte er immer nur andere.
Hinter dem Kinderbauernhof wehte die deutsche Fahne an Joshuas Fenster. Dahinter plagten Hannas Gesicht Geldsorgen. An die Fahne hatte sie sich gewöhnt. Obwohl sie ihr auch weiterhin gelegentlich unangenehme Schauer verursachte. Es war immerhin die Fahne des Volkes, das ihre Ur-urgroßeltern, deren Kinder und fast alle deren Kindeskinder ermordet hatte. Hanna versuchte darüber hinwegzusehen. Schliesslich war seit den deutschen Greueltaten eine lange Zeit vergangen und Joshua hatte die Fahne gewollt. Wegen dem Fussball. Sie war nicht teuer gewesen. Und irgendwie, ganz tief in ihrem Inneren hatte sie gehofft, das Joshua vielleicht zu den ersten Deutschen gehörte, die das jüdische Volk hervorgebracht haben würde. Irgendwann müsste ihr Volk doch ankommen, in dem Land, in dem es seit Jahrhunderten lebte. Hanna sah aus dem Fenster und betete zu Gott. Er möge ihr mit dem Geld helfen. Sie hatte keins mehr. Hanna hatte alles durchsucht: Jede Schublade, jede Tasse, den Zuckertopf, die Dosen, die Schuhe und bei jedem Kleidungsstück hatte sie die Taschen nach aussen gedreht. Sie hatte gehofft beim letzten Mal etwas übersehen zu haben. Doch gefunden hatte sie keinen Cent. Im Kühlschrank waren zwei Eier. Brot hatte sie auch noch. Genug für Spiegeleier. „Wieder Spiegeleier.“, dachte sie. Aber für morgen hatte sie nichts. Weder Geld noch Essen.
Sie sah aus dem Fenster und flehte Gott an. Der blieb stumm. Sie senkte ihren Blick hinab und sah aus ihrem grauem Wohnblock mit den rot übermalten Balkons und den riesigen Graffities auf den Fahrstuhlschächten zu dem Kinderbauernhof. Da war er: Ihr Liebling. Er streichelte seinen Silo. Hanna drehte sich um. Sie durfte nicht aufgeben. Sie musste etwas finden. Eine Kleinigkeit, nur für morgen, für das Frühstück und das Mittagessen. Sie wollte nicht wieder sehen, das ihr Sohn hungrig blieb. Sie durchwühlte noch einmal jede Schublade, schob das Bett zur Seite und weil dort kein Geld lag guckte sie hinter dem Schrank. Aber Gott zeigte sich nicht wundertätig. Erschöpft fiel sie auf das Bett und weinte bis sie schlief.

Als Joshua nach Hause kam, sah er ein Bild der Verwüstung. Andere hätten an Einbruch gedacht. Aber Joshua kannte den Zustand. Das Geld war ausgegangen und seine Mutter hatte die Wohnung durchsucht. Mehr als einmal. Joshua kamen Tränen. Langsam zog er den Schlüssel aus dem Schloss und lehnte seine Stirn gegen die Tür. Der Schmerz, der durch den Druck entstand, breitete sich aus und tat dem Jungen gut. Er wußte nicht warum. Vielleicht weil das dumpfe Stechen ihm half die Tränen zu unterdrücken. Vielleicht. Genau wußte er es nicht. Er dachte auch nicht viel darüber nach, weil er erst sieben war. Leise und kraftlos drückte er die Tür zu und ging durch die verwüsteten Räume in das Schlafzimmer. Dort lag sie. Seine Mutter. Sie sah ganz weich aus. Er ging auf das Bett und setzte sich neben sie. Er streichelte ihren Kopf und ihren Rücken. Joshua legte sich zu ihr und umarmte sie ganz fest. Seine Hand lag in ihrem Nacken, seine kleine Stirn an ihrer und als sie die Augen öffnete, sah sie in seine. Sie sah die schönsten Augen, die es für sie gab. Ihr Junge war da. Er war sehr lieb. Seine Küsse waren für sie. Diese Liebe musste sie mit niemanden teilen. Diese Liebe gehörte nur ihnen beiden.
Seit sieben Jahren kannte sie diese Augen. Sieben Jahre hatte sie die Augen gesehen. Sie hatte für Joshua gesorgt und sich bemüht. Das war oft sehr anstrengend gewesen, doch sie hatte es immer wieder geschafft. Bis heute. Doch morgen hatte sie nichts. „Hallo Liebling“, flüsterte Hanna Joshua zärtlich zu. „Hallo Mama.“, setzte er das Ritual fort. Das machte ihn glücklich. In diesem Moment waren alle Sorgen weit weg. Es verblieb nur die vertraute Wärme. Erst als Hanna sich aufsetzte und die verwüstete Wohnung betrachtete, kehrten die Sorgen zu ihrem Denken zurück. Gefühle von kraftloser Ohnmacht betrübten sie. Joshua lag in den Armen seiner Mutter. Sie streichelte seine Haare und drehte kleine Locken hinein. Er bemerkte nicht, das ihr Kopf sich mit verschlossenen Augen senkte. Erst die tausend Tränen, die auf ihn fielen bemerkte er. Joshua hielt ihre Hand. Er küßte sie, lehnte seine Wange dagegen. Er spürte ihre Wärme und fühlte den Druck, der ihm zum einen weh tat, zum anderen aber auch das vertraute Gefühl gab: „Sie ist da.“ Wie ein leises: „Wir sind nicht alleine.“, klang das. Er kroch zu ihr hinauf, küsste ihren Hals und ihr Gesicht. Sie schluchzte kräftig und umarmte ihn verzweifelt. Ganz fest. Joshua bekam kaum noch Luft. Dann, wie oft hatte Joshua diese Verwandlung schon gesehen, kehrte Kraft in sie zurück. Er strahlte. Sie hatte neue Hoffnung geschöpft. Vielleicht hatte sie diesmal Glück. Aber Joshua ahnte den Misserfolg. Sie würde wieder alle Schubladen aufreißen, wieder in den Zuckertopf und die Tassen schauen, wieder jede Dose öffnen und darin nach Geld suchen. Der Siebenjährige betete ganz fest. Doch er glaubte weniger an sein Gebet als an Hannas Scheitern. Seine Mutter würde nichts finden. Schliesslich hatte Joshua nichts versteckt. Sie fand stets das, das er vorher für sie versteckt hatte. Nie etwas anderes. Dieses Mal hatte er kein Geld mehr übrig gehabt. Deshalb hatte er keins versteckt. Später würde sie wieder ins Bett fallen. Sie würde weinen und kraftlos sein. Und dann wäre sie bereit für den letzten Weg. Seine Mama würde sich an die Männer erinnern, die ihn immer freundlich durchs Haar wuselten, bevor sie an ihren Gürtel griffen, die Schnalle öffneten, und mit seiner Mutter durch die Tür verschwanden. Nach dem Liebesdienst würden sie mit seiner Mutter trinken und ihr Gesellschaft leisten. Der eine oder andere würde ihr einen Hochzeitsantrag machen. „Wir sind hier doch nicht auf dem Viehmarkt.“, pflegte Joshuas Mutter sich darauf zu entrüsten. Ihrer Unabhängigkeit verlieh sie Nachdruck, indem sie beschwörend wiederholte: „Nein, auf dem Viehmarkt sind wir hier nicht.“ Ihre Stimme verstummte. Es folgte eine Pause. So sicherte sie sich ihre Freier. Die Gläser würden leer werden und sie würde den Freier zur Tür bringen. Zärtlich, aber bestimmt, nie unhöflich. Mit einem Wangenkuss zum Abschied. Sie wußte was sie an ihnen hatte. Gerade an denen, die ihr die Hochzeit antrugen. Die Tür würde sich schließen. Joshua und Hanna würden allein sein. Hanna würde Joshua einen Schein schenken, ihn ansehen und wortlos sagen: „Es tut mir leid.“ Sie würde in ihren Stuhl sinken, ihr Haupt senken und wieder weinen. Dabei sind ihr oft die Scheine aus der Hand geglitten und auf dem Boden liegen geblieben. Joshua hatte das Geld immer eingesammelt und es in ihr Portemonnaie gelegt. Danach war er zu ihr zurückgegangen, hatte sie umarmt und geküßt. Joshua erinnerte sich an den Geruch der Männer, den er dabei gerochen hatte. Joshua hasste den Geruch genauso wie er die Tage hasste an denen die Männer kamen und das Geld brachten. An diesen Tagen lachte seine Mutter zwar viel, aber er fühlte, das sie sehr unglücklich war. Er musste das ändern. Er ging zurück zum Kinderbauernhof. Bei Silo hatte er manchmal gute Gedanken. Er bürstete den Esel und sah ihn dieses Mal mit anderen Augen. Er sah das der graue Freund sich in viele Kilo Fleisch verwandelte. „Fleisch ist teuer“, hatte seine Mutter ihm oft gesagt. Deshalb musste er es aufessen. Und plötzlich kam ihn eine Idee. Er wollte seinen Freund verkaufen. Wenn ein kleines Stück Fleisch teuer war, wieviel Geld bekäme er für einen ganzen Esel? „Vielleicht“, hoffte Joshua, „kann ich das ganze Leben lang Scheine für Mama verstecken.“ Er sah Silo an. „Das sind wirklich viele Stücke Fleisch“, fand er und betaste Silo fachmännisch. Das Kind öffnete das Gatter und nahm den Esel mit. Niemand wunderte sich. Die Kinder nahmen die Tiere oft heraus und führten sie auf den Parkwiesen spazieren.
Jan, der Betreuer, der Joshua damals an Silo herangeführt hatte, sah die beiden und fand einen Schatten auf Joshuas Gesicht. „Wahrscheinlich hat seine Mutter wieder Geldprobleme.“, dachte er sich. Jan kannte Hanna. Er war bemüht die Eltern der Kinder zu kennen. So konnte er die Kinder besser einschätzen. Seine Arbeit war vielschichtig. Er kannte sich aus mit Mensch und Tier. Das er mit seiner Annahme über Joshuas Gesichtszüge nur fast richtig lag, ahnte er nicht. Des Kleinen Bereitschaft seinen langohrigen Freund auf die Schlachtbank zu bringen, war jenseits aller Horizonte des Erziehers. „Hoffentlich geht es dem Kleinen hinterher besser.“, dachte er sich und sah keinen Grund zur Besorgnis. Der Junge hatte ein stabiles Gemüt, fand er.
Joshua führte den Esel aus dem Park hinaus auf die Straße. Dort ging er von einem Fleischer zum anderen und bot Silo feil. Doch die Gier lockte keinen den Esel zu kaufen. Im Gegenteil, die meisten glaubten von einer versteckten Kamera gefilmt zu werden. So zeigten sich die meisten Fleischer freundlich. Einige gaben Joshua ein wenig Geld oder Süßigkeiten. „Das macht sich gut im Fernsehen.“, dachte einer. Die anderen dachten weniger weit. Ihnen gefiel die Situation einfach sehr gut. Und die Möglichkeit im Fernsehen gut gelaunt aufzutreten schmeichelte manche Eitelkeit. Keiner scheuchte Joshua und den Esel aus seinem Geschäft raus. Aber verkaufen konnte der Junge das Tier auch nicht.
Der letzte Fleischer, den Joshua aufsuchte nannten alle Ali, weil nur Gott wußte, wie Ali wirklich hieß. Und Alis Mutter. Die war schon lange tot und hatte das Geheimnis mit in ihr Grab genommen. Ali hatte neben seinem aufbrausenden Charakter, eine ausgeprägte Neigung zur Reinlichkeit. Er beschäftigte sich jeden Tag vor und nach der Arbeit ausgiebig mit seiner Körperpflege: Er wusch, seifte, cremte, rasierte und parfümierte sich sorgfältig bis der letzte Hauch vom toten Fleisch durch oritentalische Duftblüten ersetzt worden war. Er wollte sauber sein, und zwar so sauber, das jeder andere seine Gegenwart geniessen konnte. Was seinem Körper galt, galt erst recht der Fleischerei. Schließlich sollten sich dort auch jene wohl fühlen, die er nicht mochte. „Kunde ist Kunde“, war sein Motto. Keinen von ihnen wollte er verlieren. Sobald er Zeit hatte polierte er mit frischen Lappen jegliches festes und bewegliches Teil seines Ladens. Selbst an schmutzigen Wintertagen glänzte sein Boden, während der Boden anderer Geschäfte mit dem grau-braunen Schnee und Streusandgemisch überzogen war. Ali sorgte sich sehr um die Reinlichkeit seines Geschäftes. Wunderte sich jemand laut darüber, antwortete Ali: „Ich verkaufe schließlich Fleisch und kein Alteisen. Dort wo man essen kauft, muss alles ganz sauber sein. So sauber, das man sogar auf dem Boden essen kann, und dabei mein Fleisch genießt.“ Natürlich probierte das keiner. Aber wer die Antwort hörte, sah sich genau um und gab Ali recht. Es war ein wirklich sehr sauberer Laden. Seine Freunde scherzten manchmal darüber, obwohl ihnen Alis Reinlichkeit imponierte. Weil sie Ali so gut kannten, hätte keiner dabei sein wollen, wenn ein Kunde ein lebendiges Tier in seinen Laden gebracht hatte. Mit all den Haaren und Bakterien: Vielleicht würde es sich gar erleichtern. Nie hatte einer darüber Vermutungen angestellt. Hätte es einer getan, hätten alle Freunde dafür gesorgt, das das Thema gewechselt würde, sobald Ali dazukäme. Gewiss würde er laut schimpfen. Sein Kopf würde ganz rot vor Zorn werden. So hätten Alis Freunde sich den Fleischer vorgestellt, wenn sie sich getraut hätten, darüber nachzudenken. Sie hatten sich aber nicht getraut. Ein Tier im Laden hätte er nie geduldet, hätten seine Freunde geglaubt, wären sie mutig gewesen. Die Situation blieb unbedacht. Stattdessen passierte sie. Unvorbereitet. Unvorstellbar. Aber hörbar. Die Klingel der Tür läutete. Joshua trat mit dem Esel ein. Alis drei Angestellte hielten den Atem an. Ali drehte sich herum. Er sah Joshua und den Esel. Er glaubte er seinen Augen nicht trauen zu können. Er rieb sie fest. Öffnete die Augen wieder. Er blieb still. Kein Laut. Weder von ihm, noch von den drei Angestellten, denen langsam die Atemluft fehlte und die ein Wunder erleben sollten: Ali weinte. Joshua und sein Esel lösten aus ihm alte Tränen heraus. Ali erinnerte sich an sein anatolisches Dorf. Bilder aus seiner Kindheit erschienen. Er sah, sich seinen Esel streicheln. Er fühlte wie er mit seinem Langohr Stirn an Stirn geruht hatte. Er spürte des Esels Herzschlag, als er ihn umarmt hatte. Ali roch den vertrauten Tierduft. Ali hatte den Esel immer mit sich geführt. Er hatte nie Zaumzeug benutzt, nicht mal ein Band hatte er seinem Gefährten um den Hals gelegt, erinnerte er sich. Der Esel hatte ihn nie gebissen und folgte jeden von Alis Schritten. Nur reiten ließ der Esel Ali nicht. Wenn Ali aufgesessen war, blieb der Esel stur stehen. Ali lachte in sich hinein, als er auf seine Kindheit zurückschaute. Das Undenkbare geschah. Ali ließ den Jungen mit dem Esel eintreten. Ali ging zu dem Esel und streichelte ihn vorsichtig.
„So ein schöner Esel“, sagte er. „Ist das dein Freund?“
„Ja“, antwortete Joshua. Doch dann erinnerte er sich warum er hier war: „Ich möchte ihn verkaufen.“
„An mich?“
„Ja, an Dich, Du machst doch Fleisch“
„Aber...“
„Das ist ein guter Esel. Sieh nur sein Fell. Es glänzt ganz toll. Ich habe ihn heute gestriegelt und gebürstet. Und guck nur...“ Joshua zeigte auf den Bauch. „Der Bauch ist riesengroß. Daraus kannst du ganz viele Steaks schneiden.“
Ali hörte nur halb hin. Er streichelt den Esel. Diese Lebendigkeit. Er erinnerte sich an seinen Esel. Seine Erinnerungen bekümmerten ihn. Es hatte einen kalten Winter gegeben. Und dann wurde der Winter sehr feucht. Die Getreidevorräte waren zu Ende gegangen: Teils gegessen, teils unwiederbringlich verfault. Seine Familie hatte kein Essen mehr. Und einen Esel. „Vermutlich würde der nicht gut schmecken.“, wurde angenommen. „Der Esel ist alt und altes Fleisch schmeckt schlecht.“, hatte es geheißen. Aber Fleisch hieß Überleben. Alle hatten Hunger. Es ging zuende mit dem Leben und je länger der Winter dauerte, desto mehr roch er nach Tod. Vor allem für den Esel. Zugunsten von Alis Familie fand der Gevatter das Tier. Alis grauer Schatten hatte seinen Weg beendet. Ali musste allein weitergehen. Dafür blieben ihm seine Brüder und Schwestern.
Die anatolischen Erinnerungen versandeten. Er sah Joshua an. Er kannte dessen Gesicht. Er hatte ihn oft gesehen. Der Junge wohnte in der Nähe. Er war manchmal an seinem Fenster vorbeigelaufen. Im Laden war das Kind noch nie gewesen. Ali kannte seine Kunden.
„Warum willst Du den Esel denn verkaufen?“, fragte Ali Joshua feinfühlig.
„Meine Mama hat kein Geld mehr. Wir können uns nichts zu essen kaufen.“
„Ach“, entfuhr es Ali und legte sich seine Hand an seine Wange. Die Zeiten waren wieder schlimm geworden. „Du musst den Esel nicht verkaufen. Aber wenn Du möchtest kannst Du mir helfen. Ich bezahle Dich dann auch.“ Der siebenjährige strahlte, aber die Taube auf dem Dach schien ihm recht fern. „Das ist gut. Aber ich brauche jetzt Geld.“, beharrte er in dem Ton eines Erwachsenen. „Ich will Dir einen Vorschuss geben.“, bot Ali ihm an und ging zur Kasse. Er öffnete sie und nahm ein paar Münzen heraus. Joshua öffnete seine Hände und zählte mit, während Ali das Geld hineinlegte. Das reichte zum Einkaufen wußte das Kind. Doch der siebenjährige hatte Mut gefunden und statt zu danken, starrte er zur Fleischtheke. Das sah lecker aus. Ganz eindringlich sah er hin. Ali verstand. Er packte dem Jungen zwei Steaks und ein halbes Pfund Aufschnitt dazu. Mit seinen kräftigen Fleischerhänden kam er zurück und drückte Ali das Paket in die Hand. „Bis morgen!“, verabschiedete Ali Joshua und bat ihn: „Aber lass den Esel zu Hause.“ Joshua sah ihn an. Er strahlte und verabschiedete sich mit seinem: „Bis morgen.“ Er brachte den Esel zurück und ging nach Hause. Hanna war fassungslos. Sie sah auf das Geld und roch an dem Fleisch. Das Fleisch war sehr gut. Fein und frisch. Joshua war aufgeregt und erzählte die Geschichte, die Hanna immer wieder mit einem lauten :“Gelobt sei der Herr!“ unterbrach. Hanna war glücklich. Ihr Sohn hatte seine beste Seite gezeigt. Nur eins betrübte sie: Das ihr Kind schon arbeiten musste. Sie spürte ganz deutlich den Wechsel der Zeit. Es wurde kälter.
 


von Martin Teuschel

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Deine kleine Schnuppertour
  • Im Projekt Freiraum kann geduscht werden. Eine Dusche ist abgebildet.
  • Abbildung: Sauberkeit in Bad und WC. Ein Desinfektionsspender für die Toilette zum einfachen Gebrauch.
  • Böse Blumen: Ein Geschichtensammlung im PDF - Format
  • Glaube, Liebe, Hoffnung: Christliche Werte mit Tusche gezeichnet.
  • Sandra meint: "Was du hier schreibst ist Kitsch. Manchmal wünschte ich[..] eine Internetprüfung!" Was meinen andere?
  • Streetart zum Berliner Straßenkunstfestival Berlin-Lacht 2007 mit der Kurzgeschichte Straßenkunst
  • Berlin: Superstar Boxi spielt mit Styropor Stadtbau. Und baut dabei reichlich Tower 
  • Comic :Umzug in Berlin. Freunde helfen. Professionell ist das selten. Dafür gibts Renovierungstipps.
  • Ein Projekt das Gesundheit, soziale und informelle Gerechtigkeit, religiöse Toleranz und Integration fördern und fordern will, kann zur Verwirklichung seiner Ziele Grundregeln definieren.
  • Kurzgeschichte: An der orientalischen Bühne beim Karneval der Kulturen gab es wieder ein tolle Show.