Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010Neue Inhalte folgen auf jomt.de |
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"Er
war ein guter Mensch; denn er hatte nie schlecht
über andere geredet."
Die Worte, voller Bedacht gewählt, berührten Gabriel tief. Er sah Siegmund an,
und er sah in dessen Augen Ehrlichkeit. In Sigmunds ruhiger Stimme vernahm der
junge Mann die Hochachtung, die nach dem Tode nicht verblasste oder ausgeschmückt
wurde. Gabriel war tief beeindruckt.
Die beiden hatten ihr Gespräch beendet, Gabriel hatte erfahren, was er sich wünschte und reichte seinem Gegenüber zum Abschied die Hand. Als sich die Hände berührten, befielen ihn Schwindel. Dunkelheit und Licht wechselten schnell und blendeten Gabriel. Rot durchzuckten Blitze den blauen Himmel. Dann wieder Dunkelheit. Die Schwärze wurde licht. Mehr und mehr wurden Nebelschleier sichtbar. Sigmund war verschwunden. Und mit ihm alles andere. Und dann gab es einen Ruck. Gabriel fiel. Die blonden Haare Gabriels flatterten im Wind des freien Falls durch die Luft. Als
Gabriel sein Bewusstsein wiedererlangte, sah er in das Gesicht einer schönen
Frau.
Elisabeth
wandte den Blick von dem jungen Mann zu den Stimmen: " Seid leise,
er
muss sich erholen. Geht nach draußen." - "Och", kam
zweistimmig aus den Kindermündern. Und sie gehorchten ihrer Mutter.
Gabriel
setzte sich auf. Er sah Elisabeth an: Sie war eine schöne Frau.
Vielleicht
dreißig, sie trug schwarzes Haar eng am Kopf gebunden, ihre
Augen
waren braun, und erinnerten ihn, durch die Erscheinung ihres zarten,
grazilen
Körpers, ihrer sonnengebräunten Haut und den feinen Zügen ihres Gesichts an
ein Reh.
Das
Reh verschwand, er hörte Kochtöpfe.
Es waren nicht die Kinder, es war Peter: Elisabeths Mann. "Du bist wieder aufgewacht. Wir haben uns schon Sorgen gemacht." Er kam direkt auf Gabriel zu, reichte ihm seine mächtige, von schwerer Arbeit geformte Hand und griff herzlich fest zu. Händeschütteln. Sie stellten einander vor, wobei Gabriel kurz zögerte. Sein Name. Er riet und sagte unsicher: "Gabriel." Peter ließ Gabriel los, drehte sich zu Elisabeth, näherte sich ihr und klapste auf ihren Po. Er küsste sie am Hals, hinten im Nacken. Dort wo es sie sehr kitzelte. Sie umarmte ihn kichernd. Die Liebe zwischen ihnen war offensichtlich. Sie harmonierten, dass Gabriels Bauch Entzücken meldete. Die Liebenden hörten das tiefe laute Grummeln und lachten. Schnell wurden der Tisch gedeckt, die Kinder gerufen und ein Gebet gesprochen. Ehrliche und einfache Worte richtete Peter für sich, seine Familie und den Gast an Gott. Sie begannen zu essen. Auch Gabriel hielt seine Hände gefaltet, senkte sein Haupt, doch seine Gedanken waren nicht bei Gott. Gabriel selbst war Atheist und Religion hielt er für Verführer der Massen. Doch diese Menschen hier, die mit ihm an dem Tisch saßen beeindruckten ihn. Er beschloss nicht mit ihnen über Gott zu sprechen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass diese Gespräche nur bittere, ungenießbare Früchte zu Tage brachten.
Er ließ diese Menschen glauben. Ohne Worte. Der Bohneneintopf war deftig und füllte angenehm den Magen. Jetzt begann die Familie mit ihren Fragen, und Gabriel seinerseits stellte seine. Spät in der Nacht gingen sie alle ins Bett. "Denk daran: Die Träume in der ersten Nacht gehen in Erfüllung.", sagte Elisabeth ihm mit einem liebevollen Lächeln. "Ja, ich denke daran", sagte Gabriel und blickte Elisabeth an, verblieb so bis ihm Dauer und Intensität des Blicks bewusst wurde. Er wandte sich schnell ab, während seine Lider langsam, wie zu einer bevorstehenden Ohnmacht niederschlugen. Er befürchtete, sein Blick sei zu lang gewesen und könne die herrschende Harmonie gefährden. Kurze Zeit später lag er rücklings im Bett, kreuzte die Hände hinter dem Kopf und blickte aus dem Fenster: Dort leuchtete hell das Gestirn. Zikaden musizierten. Seine Gedanken hielten ihn wach. Wer war und woher kam er? Gewiss, er hieß Gabriel. Das nahm er zumindest an. Wirklich erinnerte er sich nicht. Der Name war ihm als erstes eingefallen, als Peters Vorstellung einen Namen erforderte. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wuchs seine Unsicherheit. Doch es war nicht nur sein Name, der ihm entfallen war. Was war mit seinem Leben, war er Familienvater wie Peter und wer waren seine Eltern? Mitten in den Grübeleien wurde sein Atem ruhiger und seine Gedanken langsamer. Er schlief ein, und seine Gedanken vermischten sich mit den Bildern der Nacht: Er
befand sich in tiefer Dunkelheit. Langsam sichtete er Schatten und Schemen.
Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Mit gestreckten Armen und
tastenden Händen erfühlte Gabriel die Umgebung. Er war an einem kühlen Ort.
An
seiner
Seite
war eine Mauer mit großen Steinen. Kalte Feuchtigkeit lag auf ihnen. Er folgte
seinen Händen. Sie führten ihn schrittweise durch den Gang, bis seine rechte
Hand in die Leere griff. Der Gang verlief jetzt seitlich. Während seine Hand
die Ecke abtastete, hörte er eine Stimme rufen: "Gabriel..." Leise
und flüsternd kam sie zu seinen Ohren. Sowohl Neugier, als
auch
der Wunsch diesen eher ungemütlichen und zugleich vertraut wirkenden
Ort
zu verlassen ließen ihn der Stimme folgen.
"Gabriel",
da war sie wieder. Der Ruf war laut genug, um sicher zu sein, das er um die Ecke
gehen musste. Gabriel.
Dort
waren schöne Menschen, die auf der Strasse liefen. Ein junger Mann aus der
Nähe. Die Rasur verriet einen sportlichen Rasierer. Sein starkes
Selbstbewusstsein zeigte er offen, als er der Frau lässig zuwinkte und sie
einlud mitzufahren. Die Vision offenbarte
den Sehenden phantastische Bauten, durch die Augen eines Adlers. Ruhig
und kräftig glitt er durch die Wunderwelt hindurch. Plötzlich blieb er stehen.
Setzte sich auf einen Briefkasten und schaute einen Mann an.
Ein
Reporter mit einem großen, gelben Mikrofon berichtete aufgeregt: „Skandal.
Ein dreißig Jähriger nutzte schamlos die Gesetze zur Unterstützung der Armen
aus und stahl 50000 Silbertaler. Das Parlament debattiert über eine
Verschärfung der Erteilungsauflagen. Ein Mann hat seine Nachbarin entführt und
vergewaltigt. Im Ministerium für Sicherheit unseres Staates verschwanden acht
Millionen Goldtaler. Der Minister Siegelmund ist bereits zurückgetreten. Die
Ethnische Automobil Gesellschaft entlässt 40000 Mitarbeiter. Die Börse
reagiert mit Zuversicht."
Der
Adler saß noch immer da. Geheimnisvoll blinkte sein Auge. So als wollte es
sagen: "Die wahre Welt. Ganz ungeschminkt." Seine Flügel
schlugen, er erhob sich, und schwebte am Himmel. Macht und Kraft verbanden sich
mit ihm in eine erhabene Ruhe. Und
die Vision erschien wieder aus seinen Augen.
Die Schaulust und der große Unterhaltungswert hatten Gabriel mit lähmender Faszination bedeckt, doch Elisabeths Worte fanden Gehör. Neues interessierte ihn mehr, als altbekanntes Leid. Sie liefen durch das Stadion. Immer wieder trafen sie Menschen, die Gutes getan hatten. Albert Schweitzer, Mahatma Ghandi, Mutter Theresa, der heilige Martin, Nelson Mandela, Martin Luther King und viele andere waren da. Aber auch andere, die sich durch das Gegenteil ausgezeichnet hatten. Alle zusammen. Sie erzählten über ihr Wirken, doch mehr noch sie, sie boten Pläne an, die Welt aktiv zu bessern. Wie es sein könnte, wenn alle gut wären, wie schön die Welt sein könnte. Utopien mischten sich zu den Realitäten von Bürgerinitiativen, zivilem Ungehorsam, Mut zu geschichtlichen Änderungen, und dem Wechsel gesellschaftlicher Gewohnheiten. Plötzlich hielt Elisabeth an. Gabriel sah keinen Grund. Als Elisabeth sich kniete, erkannte er ihn. Sie
sprach mit einem Kind. Das Kind sah traurig aus. Gabriel kniete sich hinzu und hörte:
"Was
hast Du? Warum bist Du so traurig?", vernahm er aus Elisabeths Mund.
"Viele
Menschen wünschen sich eine Welt ohne Armut und ohne Krieg. Warum
kann unsere Welt nicht so schön sein?"
Elisabeth
umarmte das Kind. "Deshalb bist Du traurig?", fragte sie gerührt,
obwohl sie wusste, das viele Kinderängste Krieg und Armut beinhalten.
Für
sie war das ein Grund mehr dem Kind Gehör und Achtung zu schenken.
"Ja.
Und weil alle sagen, das die Menschen schlecht seien. Und dann sagen sie, das
eine gute Welt nicht mit schlechten Menschen gemacht werden kann. Weil
schlechte Menschen, die guten Menschen immer ausnutzen."
- "Und
glaubst Du, das die Menschen schlecht sind?"
- "Nein,
nur manchmal... im Fernsehen, da zeigen sie immer so schreckliche Dinge. Und
wenn Papa Zeitung liest, ärgert er sich oft sehr über schlechte Menschen. Aber
Papa ist gut. Er steht jeden morgen ganz früh auf und geht arbeiten, damit wir
genügend zu essen haben. Und Mama ist auch gut. Sie
putzt immer die Wohnung, damit alles schön sauber ist. Und mittags kocht sie
immer ganz leckerere Sachen, und von denen hebt sie was für Papa auf. Damit
er essen kann, wenn er von der Arbeit zurück kommt. Und wenn er sich ausgeruht
hat, spielt er immer mit uns. Und am Wochenende, da fahren wir immer auf tolle
Spielplätze oder in die Berge oder ans Meer. Und
Oma und Opa. Die sind auch gut. Die machen immer schöne Geschenke für uns. Und
im Sommer fahren wir zu ihnen in die Ferien. Da dürfen wir ganz viele Sachen
machen und haben ganz viel Spaß. Und
ich... ich will doch auch alles gut machen..."
- "Hmm",
antwortete Elisabeth, "ich glaube in Deiner Familie sind wirklich gute
Menschen."
- "Ja,
bei uns schon. Aber bei denen im Fernsehen, da sind ganz viele schlechte. Die
prügeln sich, verraten, und erzählen Lügen über andere. Wenn ich so über
meine Schwester rede, verbietet mir meine Mama das immer."
Die
Summe der Taten, ihrer Nachahmungen und der Wirkungen lässt schließlich das
Gute in einer Gesellschaft durchscheinen." Elisabeth schaute das Kind
an, vergewisserte sich kurz, ob das Kind alles verstanden hatte und noch
aufmerksam war. Der wache, weit geöffnete Blick bestätigte Interesse und
Verstand. Und so fuhr sie fort:
"Meine
Gedanken auf Deine Frage, warum sich die Menschen mit schlechten, nicht
mit den guten Taten beschäftigen: Die
heutige Welt hat viele schlechte Gesichter. Nahrung und Wohlstand sind so
verteilt, das manche alles zu haben scheinen, und andere nichts haben und
deshalb verhungern müssen. Zwischen Hungertod und Sättigung - in der Welt, in
der alles überfließt, in der sie als schön, gut und in sich eins empfunden
wird, weil sie umgeben von kulturellen und sozialen Höchstleistungen ist - gibt
es viele Arten des Unrechts. Das
Interesse, Unrecht zu beseitigen, benötigt Nachrichten über schlechte
Zustände, die nicht direkt erfahrbar sind. So
wird es möglich, das Menschen, die Wohlstand erleben, sich für Gerechtigkeit
einsetzen, damit auf einer anderen Weltseite Hungernde genährt oder Kranke
medizinisch betreut werden. Doch
diese Nachrichten sind nicht für alle Menschen leicht zu nutzen, oft werden sie
hingenommen oder verallgemeinert. Die
Hinnahme führt zum Verkümmern von Willen und Mut zur Änderung der
Ungerechtigkeit. Die Verallgemeinerung entreißt Probleme
aus ihrem Zusammenhang, und sie erscheinen als unbezwingbares Geflecht. Dieses
kann jedoch immer in kleinen Schritten entwirrt und verändert werden. Ein
weiterer Grund, warum sich Menschen gerne mit dem Wesen des Schlechten
beschäftigen liegt darin, das es eine starke Faszination ausübt. Diese
Beschäftigung hilft uns im Gedankenspiel, Teile unserer Persönlichkeit
auszuleben, die unerwünscht, aber wie ich denke, in jedem vorhanden sind."
- "Menschen
sind also gut und böse zugleich?" - "Ja,
das liegt in unserer Natur, aber ebenso liegt in uns der Wunsch stets Gutes
vollbringen zu wollen."
- "Aber
können wir nicht leichter eine gute Welt machen, wenn wir uns auf unsere gute
Taten konzentrieren, statt auf die schlechten der anderen?"
- "Ja und Nein zugleich. Gewiss hätten wir es viel leichter, wenn wir uns nur
auf gute Neuigkeiten konzentrieren würden. Doch wir liefen Gefahr blind für
echte Probleme zu werden. Und außerdem denke ich, es ist besser, wenn Menschen
ihren schlechten Anteil mit bösen Inhalten befriedigen können, anstatt ihn
auszuleben. Lernen jedoch viele, sich Nachrichten
konzentrierter
zu widmen, und suchten sie zu schlechten Inhalten gleiche Anteile guter
Inhalte, besserte sich ihre Weltsicht und ihr Menschenbild. So könnten alle
Menschen, die sich eine bessere Welt wünschen, lernen, ihre Wünsche zu
definieren und in Taten, die sie den Wünschen näher bringen, umzusetzen."
In
Gabriel keimte Hoffnung. Vor seinem inneren Auge erinnerte er sich an seine
Bekannten. Keine besonders guten Menschen, aber auch keine besonders schlechten.
Die meisten wünschten sich tatsächlich eine schöne Welt, doch ebenso waren
sie überzeugt, das die Menschen schlecht seien. Peter sorgte sich in seinem
Betrieb, nicht nur um seinen Profit. Ihn interessierte ebenso sehr, die
Verantwortung, die er für die Arbeiter und ihre Familien trug. Claudia handelte
mit Immobilien und spendete jeden Monat Geld für gemeinnützige Organisationen.
John arbeitete seit Jahren nicht mehr für Geld, doch in seiner freien Zeit
besuchte gerne alte, einsame Menschen und spazierte mit ihnen durch Parks. Frank
war seit vielen Jahren Reporter und half Hausprojekten immer wieder mit Spenden
aus. Und alle träumten von einer schöneren Welt. Vielleicht würden sie gerne
in einer anderen Welt leben.
Gabriel öffnete die Augen sah aus dem Fenster und erfreute sich an tausend Sternen. Es war Nacht. Er dachte über seinen Traum nach, er erschien ihm klar. Und hatte ihm Erinnerung gebracht: Seine Freunde Frank, John, Claudia, Peter und seine Kindheit. Sie waren Wirklichkeit. Sie gehörten zu seinem Leben. Gabriel lag in seinem Bett, belauschte die Nacht und dachte über seinen Traum nach. Er fühlte sich sehr gelöst und frei, ihm ging durch den Kopf, das er morgens durch das Kinderlachen geweckt werden würde. Noch mehr Erinnerung würde zurückkommen. Elisabeth hatte gesagt, der Traum der ersten Nacht würde in Erfüllung gehen. Der Gedanke trieb seinen Geist noch eine Weile zum spielen an, bis er wieder in die Nacht eintauchte. Er wurde geküsst, öffnete die Augen und sah in Annas Gesicht. "Komm, los aufwachen." Sie rüttelte und zerrte ein bisschen an ihm, wie sie es gern mochte. "Siegmund ist schon weg. Er wollte Dich nicht wecken." Kurz schloss Gabriel die Augen... "5 Minuten noch, ich hatte so schön geträumt." von Martin Teuschel |
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