Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010

Neue Inhalte folgen auf jomt.de

www.berlinerplakate.de: In der Bahn lesen von Martin Teuschel

Texte:    Geschichten    Gedichte 1  2  3      Sachtexte   Tor zum Herzen    Start & Mehr    Bilder    Impressum    Copyright

 

 In der Bahn lesen

(von Martin Teuschel)
Neulich in der Ewigkeit verteilte ein Fremder Papier. „Wieder Werbung“, ärgerte sie sich. Ihr missfiel, daß sie es genommen hatte. Es war kalt. Warmer Tee hätte ihr mehr gefallen. Nur ihr Kragen war es wert gewesen, festgehalten zu werden. Die Hand hätte sie gegen den Hals drücken sollen, damit der Winter, der stets auf der Brücke besonders kalt schien, nicht in die Kleidung kriechen konnte. Stattdessen hatte die Hand Reklame gesammelt. In der Bahn begutachtete die Frau das Papier und erstaunte: Es war diese Kurzgeschichte. Sie blickte fragend auf. „Lasen auch andere die Geschichte?“ Ihre Augen trafen ein Gegenüber. Ohne dessen Gesinnung zu erraten, senkte sich ihr Blick. Sie wollte weder aufdringlich sein, noch fremdes Aufdrängen wecken. Sie erlag den Buchstaben, die aufgereiht Worte formten und sie in eine römische Straßenbahn einluden. Natürlich verstand die Leserin alle, schließlich war die Heldin Maria gebürtige Italienerin und italienisch ihre Muttersprache. Die Sonne brannte schon seit Wochen. Der äußerst heiße Tag hatte die Gemüter erhitzt. Die Frau neben Maria bemerkte laut „Fa Caldo!“, also daß es sehr heiß sei. „Ja, ja, unglaublich heiß.“, bestätigte Maria ihre Nachbarin und fächerte sich mit der Hand Luft zu. Mario stand hinter Maria und bemerkte, daß es am Meer kühler sei, als in der Stadt. „Ja, dort gibt es immer Wind“, ergänzte Alberto Marios Annahme. Der alte Schweißer betonte, daß seine Rente nahte. Endlich würde sich sein Sparsinn auszahlen. „Nie wieder werde ich im Sommer in Rom sein müssen!“ Alberto war stolz. Maria lachte: „Sie Glücklicher!“ Mario klopfte lobend Albertos Schulter. Das Gespräch bewegte sich durch die Bahn und wuchs mit jedem Beitrag. Eine Geburt, eine Hochzeit und in Italien ebenso wichtig, drei Pastagerichte und ihre verschiedenen Varianten, besonders jene, die bei sengender Hitze besonders bekömmlich waren, wurden mündlich weiter getragen. Auch die Rabattaktion eines großen Mailändischen Kaufhauses wurde thematisiert. Die Teilnahme daran schien zwingend erforderlich. Zumindest galt das für Maria. „Wirklich?“, hakte Maria nach. Die Römerin hatte wenig Geld und liebte neue Mode. Dieser Widerspruch mochte sich hier fügen. Sie erfuhr Details: „Steigen Sie gleich am Collosseo aus und fahren Sie mit der Metro zur Barberini.“ Sie entschloss sich zum Ausgang der überfüllten Tram zu drängen. Zwanzig Minuten später betrat sie das besagte Kaufhaus. Das Glück bescherte ihr dort einen Sonnenhut. Leider kostete der sie fast ein Monatsgehalt. Doch ein älterer Herr bestätigte ihr, daß der Hut ihr ausgezeichnet stand. Maria vergaß die Vernunft. Sie kaufte den Hut. Der Alte teilte Marias Geschmack und schien ihr bekannt: „War er... Nein! Nicht wirklich? Das könnte er...nein... oder doch?“ Die Ähnlichkeit mit dem Modezar verblüffte Maria. Die Wahrheit über dessen Sein erfuhr sie nie. Hätte sie sich getraut, hätte sie gefragt. Hatte sie aber nicht. Das vergaß sie. Ihre Erinnerung passte die Realität nachträglich an. Später, als sie ihre und Antonios Geschichte erzählte, begann sie so: „Am Tag, als ich Antonio kennenlernte, hatte Giorgio Armani mir geraten diesen Hut zu kaufen.“ Als Beweis diente das alte Polaroidfoto. Sie griff in ihre Handtasche, holte es heraus und zeigte stolz das Foto vom jungen Paar an der Fontana di Brevi. Ihr Finger strich über den Hut. „Der war ein großer Glücksfall.“, erzählte sie ihre Liebesgeschichte weiter und berichtete ausführlich über ihren Stolz auf den neuen Hut, dessen Erwerb ihr eine lange Hungerperiode beschert hatte. Wohlmeinende hätten diese Diät genannt. Am selben Abend spazierte Maria mit ihren Freundinnen durch Rom. Junge Männer pfiffen ihnen hinterher und bejubelten die Schönheit der vorübergehenden Damen mit lauten Rufen. Ein Windstoß begeisterte die meisten. Er kühlte die warme Abendstunde. „Un vento.“, lobten ihn Stimmen erleichtert. Maria kreischte. Der Wind hatte ihren Hut gestohlen und über die Mauer auf das Militärgelände gewirbelt. Dorthin traute sich keiner. Zivilisten bevorzugten die Ferne von Soldaten. Die unbeliebten Raufbolde waren meistens unerwünscht: Sie begannen oft Ärger und ihre Opfer wurden zum Überfluß arrestiert und bestraft. Maria, deren Hut ihr viele zukünftige Essen schuldig blieb, wurde traurig und konnte ihre Tränen nicht halten. Ihre Freundinnen mühten sich um Trost, bis Antonio fragte: „Ist das Deiner?“ Maria sah auf. Er hielt ihr ihren Hut entgegen. Er hatte Mut gezeigt. Maria flüsterte, sofern ihre Geschichte glaubhaft war, anstatt „Ja, das ist meiner.“ kaum hörbar „Ja, ich will.“. Das lag wohl an Antonios tiefen, dunklen Augen, in die sich die junge Frau sofort verliebt hatte. Antonio wollte auch.
In Berlin las eine Frau vom glücklichen Ende, erhoffte sich ähnliches und sah auf. Die Leserin kontaktierte umherblickend ihre Mitreisenden und bedauerte die Stille der Menschen in Berlin. „Konnte sie das Schweigen durchbrechen? Nur einen Moment oder für die Ewigkeit?“, fragte sie sich. Sie verwarf sie das Fünkchen Übermut, das in einer möglichen Antwort lag, betrauerte ihren mangelnden Mut und ließ das Papier auf dem Sitz zurück. Vielleicht bräche der Nächste das Schweigen.


von Martin Teuschel

 Zum Seitenanfang

Zum Seitenanfang

breiten_mass_inhalt_spalte

 





Deine kleine Schnuppertour
  • Im Projekt Freiraum kann geduscht werden. Eine Dusche ist abgebildet.
  • Abbildung: Sauberkeit in Bad und WC. Ein Desinfektionsspender für die Toilette zum einfachen Gebrauch.
  • Böse Blumen: Ein Geschichtensammlung im PDF - Format
  • Glaube, Liebe, Hoffnung: Christliche Werte mit Tusche gezeichnet.
  • Sandra meint: "Was du hier schreibst ist Kitsch. Manchmal wünschte ich[..] eine Internetprüfung!" Was meinen andere?
  • Streetart zum Berliner Straßenkunstfestival Berlin-Lacht 2007 mit der Kurzgeschichte Straßenkunst
  • Berlin: Superstar Boxi spielt mit Styropor Stadtbau. Und baut dabei reichlich Tower 
  • Comic :Umzug in Berlin. Freunde helfen. Professionell ist das selten. Dafür gibts Renovierungstipps.
  • Ein Projekt das Gesundheit, soziale und informelle Gerechtigkeit, religiöse Toleranz und Integration fördern und fordern will, kann zur Verwirklichung seiner Ziele Grundregeln definieren.
  • Kurzgeschichte: An der orientalischen Bühne beim Karneval der Kulturen gab es wieder ein tolle Show.