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In der Bahn lesen
(von Martin Teuschel)
Neulich in der Ewigkeit verteilte ein Fremder Papier. „Wieder Werbung“, ärgerte
sie sich. Ihr missfiel, daß sie es genommen hatte. Es war kalt. Warmer Tee hätte
ihr mehr gefallen. Nur ihr Kragen war es wert gewesen, festgehalten zu werden.
Die Hand hätte sie gegen den Hals drücken sollen, damit der Winter, der stets
auf der Brücke besonders kalt schien, nicht in die Kleidung kriechen konnte.
Stattdessen hatte die Hand Reklame gesammelt. In der Bahn begutachtete die Frau
das Papier und erstaunte: Es war diese Kurzgeschichte. Sie blickte fragend auf.
„Lasen auch andere die Geschichte?“ Ihre Augen trafen ein Gegenüber. Ohne dessen
Gesinnung zu erraten, senkte sich ihr Blick. Sie wollte weder aufdringlich sein,
noch fremdes Aufdrängen wecken. Sie erlag den Buchstaben, die aufgereiht Worte
formten und sie in eine römische Straßenbahn einluden. Natürlich verstand die
Leserin alle, schließlich war die Heldin Maria gebürtige Italienerin und
italienisch ihre Muttersprache. Die Sonne brannte schon seit Wochen. Der äußerst
heiße Tag hatte die Gemüter erhitzt. Die Frau neben Maria bemerkte laut „Fa
Caldo!“, also daß es sehr heiß sei. „Ja, ja, unglaublich heiß.“, bestätigte
Maria ihre Nachbarin und fächerte sich mit der Hand Luft zu. Mario stand hinter
Maria und bemerkte, daß es am Meer kühler sei, als in der Stadt. „Ja, dort gibt
es immer Wind“, ergänzte Alberto Marios Annahme. Der alte Schweißer betonte, daß
seine Rente nahte. Endlich würde sich sein Sparsinn auszahlen. „Nie wieder werde
ich im Sommer in Rom sein müssen!“ Alberto war stolz. Maria lachte: „Sie
Glücklicher!“ Mario klopfte lobend Albertos Schulter. Das Gespräch bewegte sich
durch die Bahn und wuchs mit jedem Beitrag. Eine Geburt, eine Hochzeit und in
Italien ebenso wichtig, drei Pastagerichte und ihre verschiedenen Varianten,
besonders jene, die bei sengender Hitze besonders bekömmlich waren, wurden
mündlich weiter getragen. Auch die Rabattaktion eines großen Mailändischen
Kaufhauses wurde thematisiert. Die Teilnahme daran schien zwingend erforderlich.
Zumindest galt das für Maria. „Wirklich?“, hakte Maria nach. Die Römerin hatte
wenig Geld und liebte neue Mode. Dieser Widerspruch mochte sich hier fügen. Sie
erfuhr Details: „Steigen Sie gleich am Collosseo aus und fahren Sie mit der
Metro zur Barberini.“ Sie entschloss sich zum Ausgang der überfüllten Tram zu
drängen. Zwanzig Minuten später betrat sie das besagte Kaufhaus. Das Glück
bescherte ihr dort einen Sonnenhut. Leider kostete der sie fast ein
Monatsgehalt. Doch ein älterer Herr bestätigte ihr, daß der Hut ihr
ausgezeichnet stand. Maria vergaß die Vernunft. Sie kaufte den Hut. Der Alte
teilte Marias Geschmack und schien ihr bekannt: „War er... Nein! Nicht wirklich?
Das könnte er...nein... oder doch?“ Die Ähnlichkeit mit dem Modezar verblüffte
Maria. Die Wahrheit über dessen Sein erfuhr sie nie. Hätte sie sich getraut,
hätte sie gefragt. Hatte sie aber nicht. Das vergaß sie. Ihre Erinnerung passte
die Realität nachträglich an. Später, als sie ihre und Antonios Geschichte
erzählte, begann sie so: „Am Tag, als ich Antonio kennenlernte, hatte Giorgio
Armani mir geraten diesen Hut zu kaufen.“ Als Beweis diente das alte
Polaroidfoto. Sie griff in ihre Handtasche, holte es heraus und zeigte stolz das
Foto vom jungen Paar an der Fontana di Brevi. Ihr Finger strich über den Hut.
„Der war ein großer Glücksfall.“, erzählte sie ihre Liebesgeschichte weiter und
berichtete ausführlich über ihren Stolz auf den neuen Hut, dessen Erwerb ihr
eine lange Hungerperiode beschert hatte. Wohlmeinende hätten diese Diät genannt.
Am selben Abend spazierte Maria mit ihren Freundinnen durch Rom. Junge Männer
pfiffen ihnen hinterher und bejubelten die Schönheit der vorübergehenden Damen
mit lauten Rufen. Ein Windstoß begeisterte die meisten. Er kühlte die warme
Abendstunde. „Un vento.“, lobten ihn Stimmen erleichtert. Maria kreischte. Der
Wind hatte ihren Hut gestohlen und über die Mauer auf das Militärgelände
gewirbelt. Dorthin traute sich keiner. Zivilisten bevorzugten die Ferne von
Soldaten. Die unbeliebten Raufbolde waren meistens unerwünscht: Sie begannen oft
Ärger und ihre Opfer wurden zum Überfluß arrestiert und bestraft. Maria, deren
Hut ihr viele zukünftige Essen schuldig blieb, wurde traurig und konnte ihre
Tränen nicht halten. Ihre Freundinnen mühten sich um Trost, bis Antonio fragte:
„Ist das Deiner?“ Maria sah auf. Er hielt ihr ihren Hut entgegen. Er hatte Mut
gezeigt. Maria flüsterte, sofern ihre Geschichte glaubhaft war, anstatt „Ja, das
ist meiner.“ kaum hörbar „Ja, ich will.“. Das lag wohl an Antonios tiefen,
dunklen Augen, in die sich die junge Frau sofort verliebt hatte. Antonio wollte
auch.
In Berlin las eine Frau vom glücklichen Ende, erhoffte sich ähnliches und sah
auf. Die Leserin kontaktierte umherblickend ihre Mitreisenden und bedauerte die
Stille der Menschen in Berlin. „Konnte sie das Schweigen durchbrechen? Nur einen
Moment oder für die Ewigkeit?“, fragte sie sich. Sie verwarf sie das Fünkchen
Übermut, das in einer möglichen Antwort lag, betrauerte ihren mangelnden Mut und
ließ das Papier auf dem Sitz zurück. Vielleicht bräche der Nächste das
Schweigen.
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