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„Ein kaputtes Bein ist kein Beinbruch“, sagte der Arzt. Das Bein war mein. Drei
Stunden vor Abflug. Das hatte ich mir anders vorgestellt.
Plötzlich habe ich viel Zeit. Liege unkonzentriert vor dem Ventilator. Er
schneidet Sommerhitze in kleine Scheiben. Starre leeres Papier an. Verfange mich
in der Fernsehschleife. Meine Finger klopfen auf den Tisch. Immer wieder neu.
Freunde bringen Essen und Geschichten. Ich erinnere mich:
Nach endlosem Warten in der Rettungsstelle, bekam ich einen Gips. Der Arzt
befand, dass ich operiert werden müßte. Dann wurde es bürokratisch. Ich sollte
zum Hausarzt gehen und die Einweisung für das Krankenhaus, also für den Ort, an
dem ich mich befand, besorgen. Um dreiundzwanzig Uhr war ich zu Hause
angekommen. Blasen waren durch Wärme, Schweiß und Krückenplastik in meine
Handflächen gerieben. Mein Urlaub war kaputt. Die Liebe an meiner Seite
verzichtete spontan auf ihren Urlaub. Ich war beeindruckt: Es war nicht
irgendein Urlaub, sondern der Urlaub, in dem sie ihre Familie und ihre Freunde
in ihrer Heimat wieder sehen wollte. Der Sommerurlaub schenkte ihr und ihren
Freunden, die zum Arbeiten in die Welt gefahren waren, jährlich das große
Wiedersehen.
Am nächsten Morgen, nachdem ich meine Schmerzen im Griff hatte, rief ich meinen
Hausarzt an. Ich erfuhr, das mein Besuch, nur zur Überweisung an einen Chirurgen
führen würde. Dieser durfte mich ins Krankenhaus einweisen. Er nicht. Deshalb
empfahl er mir einen anderen Arzt.
Das Angebot der Liebe an meiner Seite missfiel mir. Es war herzensgut und sehr
großzügig. Doch mir widersprach verdoppeltes Leid. Mir reichte meins. Ein Freund
löste das Dilemma. Er bot an, dass ich bei ihm wohnen könne. Jetzt konnte ich
mit der Liebe an meiner Seite verhandeln. Sie opferte zehn Urlaubstage.
Inakzeptabel blieb ihr, mich mit Schmerzen der Monotonie und dem Essen des
Krankenhauses auszuliefern. Gezwungen, aber unendlich dankbar nahm ich ihr
Angebot an.
Am späten Nachmittag erschien ich verärgert und termingerecht beim Chirurgen.
Obwohl ich wusste, dass mein Anliegen ein Dokument und keine ärztliche
Untersuchung war, hatte die Arzthelferin mir die Vertretung durch einen Freund
verweigert.
Eine kurze Wartezeit später traf mich unbedacht der übliche Handdruck stechend
in die mittlerweile geöffnete, brennende Blase. Die Untersuchung blieb aus. Doch
meine Anwesenheit nutzte überraschend. Ich war der einzige, der das
Krankenhausformular lesen konnte. Mein Bein schmerzte. Als ich wieder zuhause
war, zeichneten blutige Male meine Handflächen.
Drei Tage gebrochen und unbehandelt. Am Mittwoch rief ich im Krankenhaus an, um
einen Termin zu vereinbaren. Die Zeit drängte. Die Liebe an meiner Seite würde
erst nach meiner Krankenhausentlassung ihren Urlaub beginnen. Doch die Frau am
Telefon konnte nichts für mich tun. Sie bat mich am nächsten Tag zurückzurufen.
Das Wochenende rückte näher. Wir wurden unruhig, denn es war klar, das am
Wochenende nicht operiert werden würde.
Also bereitete ich mich vor. Ich erkundigte mich umfassend bei der Krankenkasse.
Die Dame dort war über die unnötigen Verzögerungen durch das Krankenhaus
verärgert. Sie konnte nicht viel für mich tun, bat mich jedoch, das Krankenhaus
zu informieren, um weitere Patienten zu entlasten. Und sie versicherte mir, dass
die Bürokratie am morgigen Tag beendet sein würde. Auf jeden Fall seitens der
Krankenkasse.
Am Donnerstag rief ich um neun Uhr im Krankenhaus an. Erstaunlicherweise half
die Person, mit der ich Vortags unter derselben Nummer gesprochen hatte, mir
weiter.
Um zwölf Uhr musste ich zur Sprechstunde ins Krankenhaus.
Ich wies den Chefarzt auf die überflüssige Bürokratie hin. Er wurde wütend und
schimpfte auf die Krankenkasse. Und schickte mich zur selbigen: Der
Kostenübernahmeschein fehlte. Ich spürte sein Interesse an der Hetze gegen die
Krankenkasse. Es schien größer als das des Erlangens neuer Erkenntnis und die
Vereinfachung der Bürokratie für neu Erkrankte. Für mich eine Frage der
Menschlichkeit. Unter anderen Umständen hätte ich mein Produkt in einem anderen
Geschäft gekauft. Aber ich war in einer Zwangslage.
Ein Glücksfall hingegen die Angestellte in der Aufnahme: Ein Anruf bei der
Krankenkasse machte den Schein überflüssig. Die Operation fand am Freitag statt.
Nicht wie befürchtet erst nach dem Wochenende.
Nach der Vollnarkose beschäftigte mich das Wechselbad aus Blut und Schmerz. Ich
wurde Unzufrieden. Sekunden wurden zu Minuten. Minuten zu Stunden. Schnell
entstanden kleine Streitereien mit dem Mitpatienten, den ich mir weder
ausgesucht hatte und noch bewegen konnte, jemand anderes seine ununterbrochene
Redseligkeit von geringem Gehalt und großem Selbstmitleid zu offenbaren. Er war
betrunken mit Bierflasche umgekippt und hatte sich die Hand zerschnitten.
Während ich weg wollte und nicht konnte, konnte er, wollte aber nicht weg. Bis
Samstagabend blieb ich ans Bett gefesselt. Schaffte erst am Samstagabend einen
kurzen Gang über den Stationsflur. Wieder brannten die aufgeschürften Hände.
Meine Unzufriedenheit wuchs und entglitt zur Liebe an meiner Seite. War sie
gegangen verblieb ich unglücklich, weil wir uns gestritten hatten. Ich bereute
meine Ungerechtigkeit und bewunderte ihre Geduld.
Sonntag verfluchte ich laut meine Krücken. Eine Schwester hörte mich. „Das sind
Gehhilfen, keine Krücken“, berichtigte sie mich. Ich war mir sicher, dass sie
keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Die Verfluchten trugen ihren Namen zu
Recht. Welchen Vorteil brachte ein besserer Name? Ich hasste die Krücken.
Bis Dienstag sollte ich bleiben. Keine Ewigkeit. Aber eine Geduldsprobe.
Am Montag sprach ich mit dem Arzt. Wegen der Hände. Er kannte eine Lösung.
Honigpflaster wurde auf die Griffe geklebt und machte sie weicher. Doch mit dem
Pflaster war die Visite nicht zu Ende. „Sie werden Mittwoch entlassen“, hörte
ich. „Mittwoch… warum Mittwoch? Es hieß Dienstag.“, dachte ich. Der Arzt war
weg. Ich nahm es hin. Die Liebe an meiner Seite regte sich auf. „Warum? Aus
welchem Grund?“ Ich hatte resigniert. Vermutlich lag das an den Schmerzmitteln.
Meine Denkleistung war minimiert. Oder war es die Hitze? Oder … Ich antwortete:
„Wenn der Arzt Mittwoch sagt, heißt das Mittwoch.“ Die Liebe an meiner Seite
blieb hartnäckig. Sie bearbeitete mich. „Mach was! Tu was! Änder’ das!“
Dienstag morgen fragte ich in der Visite nach dem Grund. Ich blieb vorsichtig.
Hatte mir die Worte aufgeschrieben und auswendig gelernt. Die Visite ist kurz
und wichtig. „Es hiess, ich werde heute entlassen. Gestern sagten sie, dass die
Wunde gut aussieht. Das Röntgen war auch gut. Wenn alles gut ist, warum soll ich
erst morgen entlassen werden?“ Die Frage traf. Der Arzt sah mich an, hielt kurz
inne und sagte, ich würde heute entlassen werden. Ich war erstaunt. Wie dankbar
ich der Liebe an meiner Seite war. Ich befreite sie telefonisch von ihrer Last.
Ich ging zurück auf mein Zimmer. Packte meine Sachen. Wartete. Wartete. Mein
Mitpatient wurde entlassen. Ich genoss die plötzliche Stille. Und wartete. Als
das Mittagessen kam, fragte ich, was mit meinen Papieren sei. „Vergessen…“, las
ich dem erstaunten Gesicht ab. Hörte aber anderes.
Heute, drei Wochen später, kam ich von der Physiotherapie. Die Kinder im Hof
riefen: „Da geht ein gebrochener Mann.“ Ich lachte.
von Martin Teuschel Zum Seitenanfang | |
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