Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010Neue Inhalte folgen auf jomt.de |
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einer der Funken fürs Auge, die aufblitzen, wenn man zu lange in die
dunkle, graue Masse blickt. Schwarze, lange Haare lagen glatt auf dem beigen Schal und verbreiteten dort seidigen Glanz. Der Schal, nicht
nur ihr verspieltes Accessoire, sondern auch Schutz gegen die
winterlichen, deutschen Temperaturen. Lucia liebte dieses Land, schon als Kind wurde sie durch die Gebrüder Grimm, gebunden, später kamen Goethe, Strauss und die anderen hinzu. In Scalea war sie aufgewachsen: Calabria, Italia. Die Stufen vor ihrem Haus führten direkt ins Meer. Nicht übers Meer wollte sie, nein, ihr Weg, führte sie durch Sprachkurse und gründliches Studium deutscher Literatur über die Berge nach Berlin. Als sie hier war, war sie entsetzt: Ihr Deutsch reichte noch nicht für die Aufnahmeprüfung an der Universität. Sie musste länger in Deutschland bleiben, die Sprache lernen. Und dort war es im Winter so kalt, das der Schal, ihre beige Mütze, die gleichfarbigen Handschuhe, ihr dicker, brauner Mantel und die hohen schwarzen, viel zu dünnen, italienischen Stiefel kaum reichten, die Temperaturen vergessen zu lassen. Auf viele deutsche Betrachter wirkte sie sicherlich etwas überkandidelt. Wie ein Mädchen aus gut situiertem Haus, vielleicht etwas verwöhnt. Deutsche lassen sich schnell durch Kleidung täuschen, sie vergessen es leider immer wieder. Lucia kam gerade vom Sprachunterricht, den sie in Berlin gab. 300 Euro, im Monat, davon musste sie Essen, Kleidung, Bücher, die Wohnung, und und ihre Fahrten nach Italien zahlen. Sie liebte ihre Familie, deshalb besuchte sie sie ein- oder zweimal im Jahr. Am liebsten dreimal. Und dort sah man sie an, mit dieser Kleidung, die Deutsche so beeindruckte, ja sogar zu argwöhnischen Gedanken veranlasste und wusste: Sie hatte nichts. Ihr Onkel scherzte: "Früher gingen wir nach Deutschland und brachten Geld hierher, heute bringt ihr es wieder zurück." Er gab ihr 100 Euro. Und dort auf dem Markt kaufte sie für wenig Geld die schöne Kleidung, die in Berlin oft Neid weckt und zu wenig wärmt. Die Kälte und Müdigkeit trieben Lucia auf den Alexanderplatz zu. Sie konnte nicht mehr viel denken: Arbeit suchen, Arbeiten, Ü-Bahn, Arbeit suchen, endlich nach Hause, lernen, schlafen. Mehr blieb nicht in ihrem zauberhaft hübschen Gesicht, dessen Züge durch gekonntes Make-up verziert waren. Dem aufmerksamen Beobachter, wäre die Müdigkeit sicherlich aufgefallen. Doch aufmerksame Beobachter gibt es nicht oft. Diesmal nur einen. Und der hatte etwas ganz anderes im Sinn. Bernd, stand schon seit mehr als einer Stunde herum. Er langweilte
sich. Arbeit hatte er keine, eigentlich hatte er auch keine Lust zu
arbeiten. Klauen lief viel besser. Heute morgen fand er in Muttis Tasche
noch einen "Zwanni", danach stritten sie sich über Ausländer. Seine Mutter
behauptete immer, das wenn die nicht da wären, genug Arbeit für alle wäre.
Genauso schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand er wieder in den Strassen Berlins. Lucia fiel die Stufen hinunter, sie überschlug sich, die Winterstreu
riss sich in Hände und Knie, und hinterließ mit matschigem Schnee
schmutzige Flecken auf ihren Mantel.
So saß sie weinend am Fuß der Treppe. Ihre Schmerzen verboten ihr sich
zu erheben und sie bat die Vorübergehenden um Hilfe. Doch keiner half. Die
Blicke streiften sie kurz und wichen weg. Die Gedanken bildeten ein
wirres, feindseliges Netz: "Schon wieder 'n Penner." - "Versteht die
nicht, das wir dafür arbeiten gehen." - "Wie dreckig die ist, sollte sich
mal waschen." - "Ob die es für'n Zehner tut?" - "Schämt die sich denn
nicht." - "Was ist das denn jetzt für 'ne Masche?" - "Schauspielunterricht
gehabt? überzeugend!" - "Kann die nicht aus dem Weg gehen?" - "Man sollte
die Polizei rufen." - " Die Armut wird immer schlimmer, wohin soll das
noch führen." - "Gut, das ich noch Arbeit habe." - "Typisch Zigeuner,
überall herumjammern." - "Ist das schlimm." - "Dem nächsten gebe ich was,
jetzt hab ich's eilig." - "Die arme Frau." - " So jung, die kann doch
arbeiten gehen." - "Ey, was ist mit der? Die braucht Hilfe."
"Krankenwagen", vernahm sie durch den Schleier ihres Leids. "Nein,
keinen Krankenwagen, ich habe keine Krankenkasse." Mustafa verstand. So
erging es vielen in diesem Land. Ausländer und Deutsche, die nicht zum
Arzt gingen, weil sie ihn nicht bezahlen konnten. Dieses "Zwei -
Klassensystem" nannte sich sozial gerecht. Er verachtete das Land
wegen dieser Heuchelei. Sein Land, er kannte nur dieses. Sein Name kam aus dem Land seiner Grosseltern. Er kannte es nur von
Bildern und Erzählungen. "Komm, ich helfe Dir, versuchen wir aufzustehen.
Er stützte Lucia. Sie hatte entsetzliche Schmerzen, doch sie biss
ihre Zähne zusammen. von Martin Teuschel |
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