Beim Karneval der Kulturen sah ich die unglaublich schöne Frau, neben
der alle Schauspiel- und Laufsteggrößen erbarmungslos verblassen.
Vermutlich war sie türkisch, ihre Haut mit dunklem Teint, kein
Lidstrich zuviel, keiner zuwenig. Und weißer Stoff schloss und öffnete
je nach tänzerischen Bewegung ihr Dekolleté. Wohlgeformt verbarg sich
dort ihr Busen.
Die Augen der dunklen, orientalischen Schönheit trugen das Feuer
ungezähmter Leidenschaft. Sie warf es umher, entzündete die Herzen
aller Männer, die allesamt um die Gunst der Schönheit tanzten. Zum Leid der
anderen weiblichen Anwesenden, die dieser Einen nichts
entgegenzusetzen hatten.
Testosteron und Zauberstaub lagen in der Luft
.
Schon wegen Dir, Francesca, blieb ich auf Distanz, aber was war mit den
anderen? Waren sie wie ich, durch Liebe gebunden.
Nein, sie tanzte nur mit einem, und dieser war erlaubt. Kein
anderer. Jeder, der es wagte, wurde von dem bulligen, freundlichen Mann
mit Pferdeschwanz hinfort gebeten. Den meisten reichte eine abfällige
Handbewegung, manche verscheuchte ein tief böser Blick und die letzten
weichten durch die Geste des Zeigefingers am Hals. Das erschien
den meisten glaubhaft. Keiner wagte es diesen Mann zu provozieren, denn
... . Hatte ich erwähnt: Er hatte einen Pferdeschwanz.
DJ Chat-In heizte ein. Wir tanzten im Kreis, mal in kurdischer, mal
in türkischer Art, tanzten unbeholfen europäisch mit orientalischem
Schulterzucken oder stilecht. Wir tanzten zusammen, wie Ricardo so gerne
sagt: Insieme. Fast alle. Einer nicht. Der Pferdeschwänzige. Plötzlich
verstand ich die Schwere seines Daseins. Seine Schwester war die
schönste Frau der Welt. Und an diesem Abend, die begehrteste. Seine
breiten Schultern trugen die Last ihre Ehre zu verteidigen. Immer. Seit
ihrer Geburt. Bis zu seinem Tod. Und gegen jeden. Der mit dem
Pferdeschwanz Verständlich, das sein Körper gut trainiert war. Ich
beneidete ihn nicht. Auch wenn es ihm möglich war mit der schönsten Frau
der Welt gefahrlos zu sprechen, sie zum Freund zu haben, jeden Tag ihre
Schönheit bewundern zu können. Nein, selbst deshalb nicht.
von Martin Teuschel  Zum Seitenanfang 
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