Geschichten:
Radio TAT:
Serie : (kannst Du auch einzelnd lesen!)
und dazu gibt es viele Bilder | Zwei Menschen, ein Raum. Gelbe Tapete mit braunen Rauten.
Braun der Lampenschirm. Das Licht der Lampe erhellt den hinteren Raum. Unruhe
wittert in den Schatten. Schweres großes Quadrat unter dem dunkelbraunen
Holztisch in der Zimmermitte. Darüber hängt eine weitere Lampe. Um den Tisch vier Stühle. Ebenfalls aus
Holz, ebenfalls dunkel. Auf dem Tisch: Eine Porzellanvase mit künstlichem
Blumengesteck. Weiße Rüschen treffen rote Samtrosen. Sehen echt aus. Die Vase
zeigt in romantischer Kleidung zwei Liebende. Zylinder, Spazierstock, Smoking
mit großen, weißen Kragen. Er reicht der vornehm gekleideten Dame die Hand, als wolle er mit ihr tanzen. Wir wissen ja, um welchen Tanz es
geht. Die Vase steht ganz zentral und dennoch bleibt sie fremd in diesem Zimmer.
Vielleicht ist sie ein Souvenir, vielleicht hängen an ihr Sehnsüchte, die sich
in der restlichen Einrichtung nicht widerspiegeln. Unter den Blumen liegt eine
orange Decke. In gleicher Farbe der Fußboden.
Nur hat die Decke keine Flecken. Der Fußboden schon. Unachtsam fiel ein Glas.
Gekippte Rotweinflasche von seiner Geburtstagsparty. Bierspuren nach der
Einweihungsfeier. Gesprenkelte Tomatenflecken. Menschliche Sekrete. Erinnerungen
vergangener Feste. Die Flecken färben das orange dunkel. Fast grau. Sonst im
Zimmer: Ein französisches Bett,
davor und darüber hängen große Spiegel. Für den Zauber verschlungener Leiber.
Das Bett ist ordentlich gemacht. Darüber eine Tagesdecke. Orangenfarbener
Flokati. Helles Orange. Hinter dem Bett verschließen braune Vorhänge die Sicht
zur Strasse. Die Deckenlampe wirft ein Schattengitter an die Wand.
Und im Zimmer zwei Menschen. Mann und Frau. Verbunden durch Liebe.
Geschenktes Vertrauen. Erinnerungen an Zweisamkeit schwingen im Raum. Er groß,
blond, kräftig. Blaue Augen mit gezupften, geschwungenen Augenbrauen. Darunter
hohe Wangenknochen mit schmalen Lippen im hellen Rosa. Obwohl
es schon abends ist, ist sein Gesicht ohne Stoppeln. Die morgendliche
Rasur hält vor. Vorzüge geringer Behaarung. Die Nachteile sind ansatzweise am
Kopf sichtbar. Heute, nein, immer trägt er eine Jeanshose, ein T-Shirt und seine
Westernstiefel. Das ist sein Stil. Sie ist anders als er. Ist kleiner, hat
braunes, dichtes Haar und wild funkelnde, dunkelgrüne Augen. Ungeschminkt wirkt
sie zart. Bartstoppeln hat sie nicht mal morgens. Trotzdem streicht
er manchmal mit dem Daumen über ihre Oberlippe und behauptet, dass sie sich
rasieren müsse. Heute nicht. Manchmal. Sie mag das nicht. Sie hat auch Stil.
Aber einen anderen. Verrät schon die Einrichtung. Wie ihr Zimmer, das sie mit
ihm teilt, hat auch ihre Kleidung braune Anteile. Herbsttyp. Der eng anliegende Pullover mit drei braunen Querlinien
und vier Längslinien betont ihre reisschalenförmigen Brüste und die schlanke
Hüfte um die er so gerne seine Arme legt und dabei seine Hände in ihrer
Rückenbeuge faltet. Auf dem weißen Stoff verlaufen zwei der Längslinien an ihren
Armen und zwei seitlich ihres Oberkörpers. Schon beim Einkauf hatte die
junge Frau den interessanten Effekt bemerkt, der sich ergibt, wenn die Arme sich
beim Laufen bewegen. Das Beinkleid der Frau ist ebenfalls weiß und hat wie der
Pullover an beiden Seiten braune Längsstreifen. Sie trägt keine Schuhe. Sie ist
zu Hause. Er ist angekommen. Sechs Stunden Zugfahrt. Die beiden haben sich lange nicht mehr
gesehen. Er muss in einer anderen Stadt arbeiten. Montage. Ihr erstes
Wiedersehen. Sie stehen voreinander und können es kaum glauben. Gesicht an
Gesicht. Ihre Grünen in seine Blauen schauend. Sie umarmen sich. Halten einander
fest. Küsse treffen auf Münder. Hände krallen einander fest. Es gibt leichtes Widerstreben. Da ist noch
Unausgesprochenes im Raum. Ein Fehltritt. Unentdeckt. Geistert im Kopf herum.
Doch dann kommen wieder die Gefühle, diese Freude sich zu sehen, erleben. Die
Nase dicht in den anderen Körper graben. Darin riechen, sich himmlisch fühlen
und alle Probleme der Welt vergessen. Haare werden gerauft, Körper gerieben.
Dicht an dicht. Küsse wiegen das Bewusstsein in höchste Sphären. Der
Moment wird magisch. Die Erotik gewinnt den Augenblick. Ihre Hand schiebt sich
unter sein T-Shirt, spürt den nackten Rücken. Hatte sich schon hundertmal an ihm
festgehalten als seine kräftige Brust vor ihren Augen bebte. Die Berührung
seiner Haut entfacht neue Flammen. Der innere Kampf wird
verstärkt, den Wettlauf der Leidenschaft. Nicht sprechen. Hände
streichen über den Mund. Hand Haut. Kleidung hochgeschoben. Verschlüsse öffnen
sich. Hektisches Zerren. Neue Küsse zögern das Unvermeidliche raus. Später,
nackt auf dem orangenfarbenen Flokati, liegen die Körper verschwitzt und atmen
laut in den
gelb-braunen Raum. Alles ist gut. Richtig gut, voller Liebe. Stromstöße hatten
sie elektrisiert und ihre Leiber niedergerissen. Hand in Hand. Liebevoll an die
Münder ihrer einander zugewandten Gesichter gelegt. Blau sieht grün. Und
umgekehrt. Verliebt. Ein Gedanke von Gottes Staatsanwalt zerstört die Stimmung,
ändert den Blick, wird bemerkt.
“Was ist mit Dir?“
Die Frage verhallte im Raum. Ist ausgesprochen. Ausweichender, alles sagender
Blick. Und die nächste Frage, halb im Scherz trifft das Schwarze.
„Bist Du fremdgegangen?“ Stammelnde Worte. Dann folgen Rechtfertigungsversuche.
Ungläubig zerbricht das Herz. Hört nur: “Da war keine Liebe. War nur Sex. Wirklich.“ Das gebrochene Herz
weiß, dass da keine Liebe war. Natürlich nicht. Wäre die Liebe da, gäbe es kein
fremdgehen. Worte, Erklärungen, Tränen. Und bitter schleicht sich das Gefühl des
Benutztseins ein. „Und eben? War da Liebe?“ „Ja, natürlich.“ „Und trotzdem hast Du mit mir gefickt? Du Arschloch!“
Abwenden. Körperlich. Ekel. Gedanken an HIV. Lieber gar nicht erst fragen. Angst
kommt dazu. Doch fragen. „Hattet ihr wenigstens ein Kondom?“ Noch mehr Schweigen
als Antwort. Zittern. Muskelanspannen. Das Gesicht
wird hart, verzerrt sich. Die Traurigkeit und Angst verwandeln sich in
Abneigung. Der Blick liegt leer im Raum. Darin große Tränen. Körper und Geist
verlieren Beherrschtheit. Speichel sammelt sich im Mund. Ein dicker Kloß. Kann
nicht mehr
geschluckt werden. Wird ausgespuckt. Ins andere Gesicht. Mit großer Verachtung.
Und diese Grenzüberschreitung wird zum Ventil. Alle verwirrten Gefühle vereinen
sich im Hass. Erst eine starke Ohrfeige. Der Kopf wird zur Seite geschleudert.
Wehrlos. Und dann verschwinden die Gedanken vollkommen. Der Rausch
erwacht. Eine Faust hinterher. Bluttropfen an der Wand. Die nächste Faust
unkontrolliert auf den Kopf, einmal, zweimal, dreimal und dann immer wieder.
Schwere Schläge erschüttern das Gehirn. Attackiert ziehen sich Arme schützend
vor dem Kopf. Starke Schmerzen. Der Entschluss ist gefasst. Keine Gegenwehr. Alles über sich ergehen lassen. Abwarten. Es wird vorübergehen.
Noch mehr Schmerzen. Tritte in die Bauchgegend. Blutgeschmack im Mund. Der
Körper ist zusammengezogen. Die Stimme fleht: „Aufhören. Bitte hör auf.“
Ungehört. Die Wut eskaliert weiter. Dann kommen Scherben. Die Hand hält die
Flasche und schlägt. Ein Stuhl wird gegriffen und mit beiden Händen auf dem zusammen gekrümmten Körper
zerbrochen. Laut knackt, der schützende Arm. Ist auch gebrochen. Die Schmerzen
sind unerträglich. Erneutes Betteln, wieder Flehen. Der Gedanke kehrt zurück.
Der Rausch verbleicht. Die Augen sehen was sie angerichtet haben. Doch die Erinnerung ist noch ganz frisch und führt zu neuer Wut. „Verpiss
Dich! Verpiss Dich endlich!“ „Wohin?“, kommt die gestammelte Antwort. Ihre
Antwort sind Tritte. Tritte, die den Mann aus der Wohnung treiben. Seine Angst
verbietet jeden Gedanken. Er flieht. Im
Treppenhaus hört er die Tür knallen. Auf der Straße bemerkt er, dass er kein
Geld hat. Keinen Pass. Keinen Schlüssel. Er klingelt. Vielleicht wirft sie was
runter. Keine Reaktion. Missmutig, mit schmerzenden Gliedern trollt er sich
davon. In die Nacht. Er weint. Nicht wegen die Schmerzen. Die steckt er weg. Wegen ihr. Liebt sie doch. Dass sie ihn so verdreschen würde, hätte er nie
gedacht. Ein bisschen Stolz hat er noch. Immerhin keine Frau geschlagen. Würde
er nie machen. Nach dieser Erfahrung war ganz sicher. Beim Typen hätte das
anders ausgesehen. Wischt die Tränen weg. Betastet seinen Arm. Ist schief. Und Drehen ist auch nicht mehr. Die Hand ist Okay. Muss trotzdem zum Arzt.
Ohne Papiere, ohne Geld. Wird schwierig, denkt er. Die Behandeln mich nicht.
Muss ich gar nicht erst hingehen. Was jetzt? Wo schlafen. Ohne Geld. Unter der
Brücke. Er irrt durch die Strassen. Papierfetzen und
Plastikreste spielen im Wind. Nasses Laub. Irgendwo krakeelt ein Betrunkener. Im
elektrischen Licht sammeln sich Dunstpartikel. Nebel zieht auf. Es wird kälter.
Und er ist müde. Hat eine lange Fahrt hinter sich. Er geht zum Bahnhof. Wärmt
sich ein bisschen auf. Hält aber nicht lange vor. In seinen Haaren und auf dem
T-Shirt klebt noch Blut vom Schlag mit der Flasche.
Lockt natürlich Sicherheitspersonal an. Fragen ihn nach der Fahrkarte. Hat
er nicht. Pass. Hat er nicht. Sagt ihnen, dass seine Frau ihn rausgeschmissen
hat. Hofft auf Verständnis. Erwartet Hilfe. Kriegt er aber nicht. Stattdessen
Hausverbot. Wird in die Kälte geschickt. Ein alter Mann sieht das. Geht zu ihm.
Hat alles mitgekriegt.
„Weisste, wärste ’n Ausländer hätten se’ Dich mitgenommen, zu Brei
gehau’n und abgeschoben.“ ,sagt der Mann und fügt hinzu: “Haste Glück gehabt,
Kleener.“ Der alte Obdachlose legt mitfühlend und tröstend die Hand auf die
Schulter des jungen Mannes. Der lässt sie dort liegen, doch als die Hand in sein
Bewusstsein dringt, schiebt er sie unwirsch und aggressiv weg:
“Fass’ mich nicht an!“, zischt er. Der Alte: „Sorry, Tschuldigung, wollt’ Dich
nicht angraben. Wollt’ Dir nur helfen.“ – „Du? Mir? Helfen?“ – „Bist doch neu
hier. Hab’ Dich zumindest noch nie geseh’n.“, sagt der Alte. „übrigens: Jakob.“,
stellt er sich vor und reicht die Hand. „Steffen.“, stellt der junge Mann sich vor und gibt die Linke. Jakob
schaut. „Die andere ist erstmal kaputt.“ „Was iss’n passiert? Du gehörst doch
gar nicht auf die Strasse.“ Dafür hatte Jakob ein Auge. Steffen wusste es nicht,
aber er hatte darauf gewartet jemanden sein Leid zu klagen.
Seine Geschichte erzählen. Einem vollkommen Fremden. Unbeteiligten. Zuhörer aus
dem Nichts. Der morgen wieder im Nichts ist. Als er fertig ist, fühlt er sich
besser. Jakob fragt: „Und nun?“ „Keine Ahnung“, antwortet Steffen. „Immerhin
hast’se nicht verprügelt…. Bist’n Guter.“ Steffen schweigt erst. Atmet tief
durch.
„Ich bin doch das Arschloch. Bin doch fremdgegangen.“ „Ja. Du bist
fremdgegangen. Aber Deine Frau prügelt. Dreh das ganze mal ’rum. Und denk mal
drüber nach. Stell’ Dir mal vor sie wär der Typ und Du die Frau. Du hätt’st ihr
den Arm gebrochen. ’N Typ, der seine Frau verprügelt. Das ist doch ’n
Arschloch. Und umgekehrt? Isser auch das Arschloch. Fremdgehen is’ nich schick. Passiert aber. Aber
verprügeln. Nee, Du das hat nichts mit Liebe zu tun. Fremdgehen jawohl irgendwie
’n bisschen mehr, oder?“ Er zwinkert Steffen verschwörerisch zu. Kurzes
Einvernehmen. Beide schweigen. Im Nebel steigt kondensierter Atem hoch. Scheinwerferkegel
blenden durch die Nacht. Steffen friert. Jakob sieht das. „Du brauchst’n warmen
Ort. Ich kenn’ da was Gutes. Nicht für solche wie mich. Ist zu gut. Aber für
einen wie Dich. Weiss’te
wir haben auf der Strasse so wenig, da wollen wir doch nicht noch so’nen Typen
wie Dich ins Boot holen.“ Jakob lacht. „Komischer Humor“, denkt Steffen. „Komm’
mit, ich bring dich hin. Die helfen Dir. Auch mit Deinen Arm.“ „Wohin?“ „Tor zum
Herzen.“. Die beiden verschwinden im Nebel.
von Martin Teuschel Zum Seitenanfang | |
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