Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010

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www.berlinerplakate.de: Nackt und Fleisch von Martin Teuschel

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Nachdem Sandros sich verabschiedet hatte, ging Celine in die erste Etage und sah sich die Galerie an. Genauso oft wie sie hier gestaunt hatte, war es ihr Wunsch gewesen eines Tages hier ihre eigene Ausstellung zu haben.

Nur ihre Bilder. Allein für sich. Im Tor zum Herzen. Doch sie wusste ihre Fähigkeiten noch weit davon entfernt. Mit diesem Gedanken folgte sie künstlerischen Strichen, die in der Galerie aushingen. Sie wandelte ungestört von Computernutzern, die der Mittelraum der Galerie mit Glas einschloss. Am Ende der Bildermeile warteten schon die anderen Kursteilnehmer. Celine stellte sich mit kurzem Gruß dazu und folgte dem Gespräch. Doch ihre Gedanken schweiften. Arbeite Sandros beim mit freiem Oberkörper? Geistig sah sie: Kohlenstaub schwärzte ihn, Schweiß glänzte und seine kräftigen Arme trieben Kohlen ins lodernde Feuer eines alten gusseisernen Ofens. Sie stünde dabei, unsichtbar, streichelte ihn. Ihre Finger auf seinen Muskeln. „Hast du am Samstag Zeit?“, riss sie aus ihren Träumen. „Samstag? Da hab’ ich noch nichts vor.“ „Gut, jetzt bist Du eingeladen. Ich habe Geburtstag.“ Sandra war genauso alt wie Celine. Weitere Fragen erübrigten sich. „Ja, ich komme gerne.“, sagte sie beschwingt zu, ahnungslos von der Unerfüllbarkeit ihrer Zusage. Die Zukunft hatte anderes mit ihr vor. Um sechs begann der Kurs. Es bedurfte keine Anweisungen, keine autoritäre Kraft. Schnell wurden Tische und Stühle geschoben. Die Kursteilnehmer kannten die Grenzen der Zeit. Immerhin waren ihnen schon zwei Stunden zugesprochen worden. Marcel war dran. Er entkleidete sich und stellte sich, zum Gefallen der Mädchen, nackt in die Mitte. Er war dünn, und sein androgynes Wesen war gering bestückt. Sandra unterdrückte ihr Kichern. Marcel bemerkte es. Die Röte stieg ihm ins Gesicht. Es war nicht sein erstes Mal und er kannte die Anspielungen. Er wurde gezeichnet. Von hinten, von vorne, von der rechten und von der Linken. Jedes Detail. Celine wechselte oft Radierer und Bleistift. Immer wieder ertappte sie sich dabei, die Konturen zu breit und die Muskeln zu groß werden zu lassen. Ihr fiel es schwer, Marcels schlanke Grazie zu fassen, während in ihrem Herzen Sandros Bild flackerte. Nach fünfundvierzig Minuten, trocknete bei vielen schon Farbe. Nicht bei Celine. Ihr Bild zeigte nur schemenhaften Grafit. Die Bilder wurden zum Vergleich aufgereiht.

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„Vielen Dank“, muhte die Kuh Sandros zu. Sandros war geschafft. Solange war er ewig nicht mehr Rad gefahren. Er hatte eine Dusche mehr als nötig. Und einen Snack. Und sein Bett wollte er auch sehen. Sandros schloss die Tür hinter sich und sah über Berlin. Und auf das kleine Penthouse, in dem er Celine kennen gelernt hatte. Er dachte an sie. Ahnungslos, dass sie im selben Moment nackt wurde, ihr Slip fiel zu Boden, ging er die Treppe zum Pförtner hinunter.

Dort erklärte Sandros Dimitri, dass ihm sein Schlafplatz unbekannt war. Der Pförtner erbat den Clubausweis. Er scannte ihn und las die Daten. Auf seinem Monitortisch erschien die Hotelsoftware. „Zimmer vierzehn, grünes Bett.“, sagte er. „Setz Dich kurz. Giselle kommt gleich. Sie bringt Dich hin.“ Sandros nahm auf dem Sofa Platz. Zum zweiten Mal. Dimitri senkte wieder seinen Kopf und tippte weiter. Zeit verstrich. Sandros dachte an Celine und Tee. Magenknurren verriet seine Bedürfnisse.
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Celine hatte Marcels Platz eingenommen. An seiner Stelle posierte nun sie. Sie war geübt und konnte leicht Positionen halten, die anderen schnell unbequem wurden. Sie kniete sich auf ihr linkes Bein und beugte das rechte nach vorne. Ihren Oberkörper stützte sie auf gestreckte Arme und den Kopf hob sie leicht an. Sie verharrte wie ein Läufer vor dem Start. Nur Nacktheit und ihr langes geöffnetes Haar unterschied sie von echten Athleten. Ihre Haut bezeugte ihre Jugend, ihre Brüste hingen, anders als im Stand, leicht gespannt und ihre rosigen Knospen gehorchten der Gravitation. Einige junge Zeichner waren über die Maße ihres künstlerischen Interesses erfreut über den Modellwechsel. Von hinten genoss Marcel, zwei einladende Kugeln, die am Horizont ein Tal, das auf die zart bewachsene Dunkelheit zulief, trennte. Mitten in der Bergfalte, da wo die Haut sich dunkler zeigte, lag lustvoll der rosa leuchtende See. Marcels Stift verharrte in den Halbkreisen des Hinterns, und fuhr mit neuem Atem schnell in geradem, glatten Strich zum Knie. Schwieriger fiel ihm auf der anderen Poseite, die genaue Wiedergabe der Rundung, die Marcels Stift, von der oberen Mitte unter die Unendlichkeit ihrer Jungfräulichkeit, zum Schambein führte. Unter diesem enthüllte ein Spalt zwischen sportlichen Oberschenkel und vorgebeugten Unterschenkel, der in einer letzten Rundung in Celines Ferse endete, ein Stück ihrer Brust. Marcel malte betört was seine Augen sahen.
Seine Wonne war der anderen Missgunst. Seitlich von ihm betrachtete eine rubenshafte Frau die Zartheit französischer Flanken, die Festigkeit der Beine und die Schmalheit des der Schwerkraft trotzenden Bauches. Sie sah Celines wunderbaren Körperbau und ohne an ihren eigenen zu denken, ähnelte das Bild der kräftigen Malerin eher an den nahenden Tod, als an erblühende Schönheit. Im Bild verriet sie ihr Unglück in harten Linien. sticker
Die Italienerin vor Celine hingegen schätzte die Schönheit des bretonischen Gesichts. Die Lippen malte sie etwas größer und verwandelte sie auf ihrem Bild zu einem Kussmund. Celines Smaragden verlieh sie zwischen kräftig geschwungenen Wimpern glanzvolles Leuchten. Die italienische Hand verewigte die Augenbrauen, füllig und geradlinig gezupft, in tiefes Schwarz. Es war dasselbe, wie das der Haare. Beim Jochbogen übertrieb die zweiunddreißigjährige. Sie fühlte in Celines Gesicht mehr Erwachsenheit, als der junge Körper zeigte.
Die neben ihr sitzende Münchnerin trug sorgfältig Ölfarbe auf. Aus ihrer seitlichen Position gewichtete sie Celines dralle Oberarme und das seitlich hinab fallende, teils auf dem Rücken liegende Haar besonders. Celines Oberarme zeugten von wachsender Kraft und Unentschlossenheit. Letztere zog das münchener Mädchen aus ihrer eigenen Biografie, aber auch aus der Beobachtung fünf Jahre älterer Frauen: Bei diesen wandelten Arme sich in Dürre oder Fülle, wusste sie. Die Kraft des Wachstums verdeutlichte die Exilbayerin fokussiert in der Detail verliebten Darstellung Celines gespreizter Finger. Keine Sehne, kein Muskel, kein Pulsieren, der vier vorstrebenden Glieder und der nach hinten gestreckten Daumen in fester Bodenhaftung, wurden vergessen. Auf der Leinwand der Münchnerin schienen die Finger den Körper mit Gewalt aus seiner Position zu treiben. Trotz des jungen Alters der meisten Künstler dieser Gruppe verfügten viele über Talent und ausreichend Übung im Akt, so dass ihre Werke die Kraft hatten Celines Schönheit zu wahren. Eine Berliner Hand sah Celines Profil. Ihr Blick richtete sich auf die Nase, die anders als ihre eigene, klein und zierlich war. Fast eine Stupsnase sah sie. Gerade, von der Nasenspitze ausgehend traf sie die Stirn und gab den grünen Sternen festen Halt. Anders als die Italienerin, erfand die Berlinerin keine zusätzliche Reife in Celines Gesicht. Es war unnötig, denn sie sah Celines Schokoladenseite. Von Haaren befreit, die lagen ja auf der anderen Seite, wurde das zarte kleine Ohr zum Hingucker. Homoerotische Gefühle erwachten in der Berlinerin, und ließen sie kurz vom Anknabbern träumen. Das Ohr bog sich leicht zum Gesicht und verschmolz dort in der Linie, die das Gesicht vom Hals trennte, zum Kinn führte und sich dort hinab wandte, um den Hals entlang zu wandern.

stickerEine andere Ewigkeit, als die, die Celines Abbilder währten, fühlte Sandros, als er sich daran erinnerte, wann er das letzte Mal gegessen hatte. Giselle hatte ihm seine Schlafstätte und die Waschküche gezeigt und dieses entsprechend vermerkt. Außerdem hatte sie ihn auf das Mitgliederseminar hingewiesen: Dort wurden Regeln und das Wesen des „Tor zum Herzen“ erklärt. „Jeden Tag um zehn und dreizehn Uhr im Raum Eins.“, sagte sie zu ihm, versicherte sich, dass seine Fragen beantwortet waren und verabschiedete sich „Auf später!“ Wohl wissend, dass Begegnungen im „Tor zum Herzen“ immer wiederkehren. Sie ließ ihn allein am Schrank mit der blauen Schildkröte.
„Endlich essen!“, tönte eine Fanfare in ihm. Er öffnete seinen Koffer und fand zwei belegte Brote und Cola. Die Brote waren vom letzten Abend. Ihre Konsistenz war denkwürdig. Weicher Salat, pappiger Käse und Schinken. Mit Schuldgefühlen sah er sich um. Er wähnte sich allein in der vegetarischen Zone und biss herzhaft in das salzige Aas. Durchaus war da eine Spur von Verwesung, nach der er sich sehnte. Sein Essen. Sein Leben. Zwei Brote später fühlte er sich wohler.

 

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von Martin Teuschel

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Deine kleine Schnuppertour
  • Im Projekt Freiraum kann geduscht werden. Eine Dusche ist abgebildet.
  • Abbildung: Sauberkeit in Bad und WC. Ein Desinfektionsspender für die Toilette zum einfachen Gebrauch.
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