Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010

Neue Inhalte folgen auf jomt.de

www.berlinerplakate.de: Steffen und Elfied von Martin Teuschel

Texte:    Tor zum Herzen    Gedichte 1  2  3      Geschichten    Sachtexte   Start & Mehr    Bilder    Impressum    Copyright

Neulich, in der Ewigkeit, beendeten vier Menschen ihr endlos scheinendes Warten bevor Ungeduld Zeit fand sie zu fressen. Der Zufall würfelte mit erstaunlicher Kraft und beflügelte die zwei jungen Paare mit Wehen.

Die einen hatte lange die Wahl des Krankenhauses geplagt. Sie hatten sorgfältig gesucht. Es waren Broschüren gestöbert, medizinisches Personal befragt und Kreissäle und Wöchnerinnenstationen besichtigt worden. Sie hatten sich für das Marienstift, ein altes katholisches, von Nonnen geführtes Krankenhaus entschieden. Es genoß, national und international, einen exzellenten Ruf.

Den anderen war die Wahl leichter gefallen. Ihre Finanzen hatten sie gezwungen die Krankenhauskosten möglichst niedrig zu halten. Am günstigsten, hatte die Krankenkasse gewußt, war das Krankenhaus in ihrer Nachbarschaft. Sie kannten es vom Hören: Nach Sonnenuntergang strebten Sirenen dorthin, um Blutenden mit Stich- und Schussverletzungen medizinische Versorgung zu gewähren.
 

Ein Restaurantführer hatte die ersteren zum Essen in ein ihnen unbekanntes Viertel geführt. Eine schlechte Gegend. Sie nahmen sich ein Taxi. Das eigene Auto wäre schnell zum Stolz der Gangs, die sich gerne nach der Brandschatzung mit Graffities darauf verewigt hätten, geworden. Des Eigentümers Stolz auf das Auto könnte Kratzer bekommen, fürchteten die von guten Speisen gelockten Wohlhabenden. Die Qualität des Mahls entsprach in jeder Weise der Empfehlung. Es war reichlich, wohlschmeckend und in einer besonders ansprechenden gastronomischen Atmosphäre zubereitet. Das junge Paar war begeistert bis, ich erwähnte es schon, der Zufall seine Würfel schmiss. Ein Gewürz wirkte stark und die werdende Mutter wand sich hin und her. Die Wehen setzten ein. Schnell wurde ein Taxi gerufen, in dem die Fruchtblase platzte. Der Fahrer war unglücklich und fuhr mit Vollgas ins nächste Krankenhaus.

Dort angekommen übersahen die panischen, werdenden Eltern sämtliche soziale Missstände. Dreckige Flure, unfreundliche Auskünfte und bissiger Desinfektionsgeruch ersetzten Freundlichkeit, Höflichkeit und das bekannte Personal. Es ging um seine Frau. Sein Kind. Sie wand sich vor Schmerzen. Sie wurde gleichgültig geschoben. Er begleitete sie Hände haltend.

Steffen und Elfried lagen friedlich beieinander: Sie wußten nichts von der Welt mit ihren Sorgen und Nöten. Die erste Sorge war für Steffen Elfrieds Schreien. Das war ihm neu und fremd, aber er hatte das schon selbst gemacht. Also schrie er mit. Die Krankenschwester blätterte die Zeitung weiter. Michelle Slut hatte geheiratet, las sie aufgeregt. „So ein hübscher Mann...“, fand die Krankenschwester und träumte sich in die Welt der Reichen und Schönen. Die Babys schrien weiter. Ihre Gesichter wurden puterrot und ihre Schreie echoten miteinander in einem natürlichen und vollkommen kunstlosen Konzert. Beider eiserner Willen überzeugte die Krankenschwester. Sie wand sich ihnen zu. Übermüdet ging sie zu den beiden und streichelte sie lustlos. Das gefiel ihnen. Sie verstummten. Für eine Zeit. Bis sie ihr Gegenüber vermissten und wieder schrien. Dadurch machten sich beider Stimmen bekannt, so daß in den Kinderherzen auch nach Jahren Platz für den anderen war.

Es war ein heißer Sommertag. Schwäne zeigten ihre Familie. Menschen taten es ihnen gleich. Ruhe, verordnet durch sengende Hitze, bestimmte die Gemüter. Wer konnte, blieb unter einem Baum und genoß dessen Kühle. Kinder spielten ungestört. Elfried war am Wasser. Unbeaufsichtigt stach er mit dem Stock Ringe in sein Spiegelbild. Es verformte sich im Wasser lustig. Er beugte sich vor, damit er mehr von seinem Spiegelbild sehen konnte. Bis er erschrocken ins Wasser fiel. Sein Schrei war laut. Doch die Böschung dämpfte die Hilferufe und verbarg sie vor nahen Erwachsenen. Nur die sensiblen Ohren eines anderen Kindes hörten Elfried. Die Stimme war Steffen bekannt. Er wußte nicht woher und er war auch viel zu klein, um darüber nachzudenken. Er hörte die Not und riß sich von der Hand seiner überraschten Eltern, deren Rufe er missachtete, los. Sie folgten ihm. Steffen rannte durch den Park. Sein Vater hinterher. Das Kind war schnell. Viel schneller als sonst. Seinem Vater ging die Luft aus. Steffen rannte zum Wasser und sah Elfried verzweifelt strampeln. Immer wieder löschten Wellen seine Schreie. „Hilfe!“, rief jetzt Steffen: „Hilfe!“ Sein Vater kam dazu, sah Elfried und handelte. Er sprang ins Wasser. Es war eiskalt. Elfried klammerte sich an ihn. Glücklicherweise fand Steffens Vater Grund. Er hielt Elfried fest und setzte ihn ans Ufer. Der Sprung war im Gegensatz zu Elfrieds Rufen bemerkt worden. Dem mutigen Retter wurden Hände gereicht, damit er aus dem Wasser konnte. Hände klopften seine Schultern und eine junge Frau umarmte Elfried. Sie weinte. Zum einen aus Angst, zum anderen vor Glück. Als Steffens Mutter dazu kam, traute die Weinende ihren Augen nicht. Diese Frau hatte sie vor sieben Jahren kennengelernt. Bei Elfrieds Geburt. Im Krankenhaus. Sie hatten einander aus den Augen verloren. Bis jetzt. Sie murmelte: „Ein Wunder!“ und küßte Elfried immer wieder. Der sah Steffen an. Den beiden Jungs war als hatten sie sich schon immer gekannt. Das war ja auch so.
 

Nach Elfrieds Rettung trafen sich die Familien öfter. Schließlich versandeten die Bindungen im großen, sozialen Gefälle unter einhergehenden Interessensunterschieden. Die Familien wohnten weit voneinander entfernt, und die Eltern blieben, ebenso wie nach der Geburt ihrer Söhne, unfähig einander die nötige Aufmerksamkeit zu wahren. Den Söhnen blieb die enge Bindung, doch die Behäbigkeit elterlicher Gewohnheiten erschwerte ihre Freundschaft. Erst seit die beiden als Teenager selbstständiger geworden waren, trafen sie sich gelegentlich im Tor zum Herzen.

Der Regen war extrem. Eimerweise schütteten Sturzbäche auf die Straße. Der Scheibenwischer schob Wasser zur Seite. Doch er war zu langsam. Die Sicht blieb hinter den Wasserfällen auf der Frontscheibe verschwommen. Trotzdem gab Ali Gas. Der Laster zog an und fuhr die Sandsäcke durch die Skalitzer Straße. Die Sandsäcke waren zu schwer für den kleinen Laster. Durch die regelwidrige Last schwankte die Ladefläche hinter dem Führerhaus hin und her. Schlaglöcher vervielfachten die Bewegungen des hinteren Wagenteils. Doch der Fahrer hatte wenig Zeit. Fünf Minuten genau. Das hatte ihm sein Chef, den er nur allzu oft verflucht hatte, gerade am Telefon mitgeteilt. Ali ärgerte sich und wünschte dem Sklaventreiber alle Geschlechtskrankheiten, die ihm geläufig waren an den Hals. Und es gab viele, wußte Ali, aus seiner Zeit in der Baukolonne. Er drückte nochmal aufs Gas und der Wagen überquerte bei Dunkelorange die Straße.

Und bremste voll. Ein dunkler Schatten. Der Wagen schleuderte abwechselnd zu beiden Seiten und Ali verfehlte den Schatten knapp. Schnell, bevor er stand, sprach er mit Allah und zog den Wagen über die zwei rechten Spuren auf die Parkfläche. Er stützte sich ins Lenkrad und zitterte am ganzen Körper. Der Wagen war nicht gekippt. Kein Metall hatte gekreischt, nichts geknallt. Ali lehnte seinen Kopf auf das Lenkrad, atmete noch einmal durch und erholte sich. Er sah in den Seitenspiegel und erbleichte. Schweiß drang aus allen Poren. Der Schatten lag auf der Straße. Ali stieg aus und ging hin.

Steffen lag auf der Straße. Der vierzehnjährige war ganz durcheinander. Hatte nicht verstanden, was da passiert war. Er stand auf, nahm das Fahrrad und sah es an. „Nein, kaputt. Das gibt es doch nicht. Elfried bringt mich um.“ Das Schutzblech war verbogen, die Lampe zerbrochen, die Speichen krumm. Es war ganz neu gewesen. Elfried hatte es gerade zum Geburtstag bekommen. Und Steffen dachte an seine Eltern. Die würden fluchen. Hatten doch keine Versicherung. Der Mann kam an. Steffen konnte nicht klar denken. Aber laufen. Das tat er. Er nahm Schwung, sprang auf das Fahrrad und fuhr los. „Abhauen!“, dachte er. Der Mann rief ihm etwas hinterher. Aber Steffen hatte Angst und fuhr so schnell er konnte. Der Mann sah sich um: Was sollte er tun? Die Polizei rufen? Er sah sich um. Da war doch nichts. Keine Spuren. Und wenn? Der Regen wusch sie weg. Sein Wagen war unberührt. Er stieg wieder ein und bedankte sich bei Allah. Es war nichts passiert.
 

Steffen fuhr mit dem ramponierten Fahrrad durch Berlin. Seine Gedanken verfingen sich im Kreis. Der Vierzehnjährige wußte ganz genau um seine Fehler. Doch alles war so schnell gegangen. Er hat einfach gemacht. Nicht gedacht. Auf dem Fahrrad kam die Angst. Fahrerflucht. Vielleicht würde die Polizei nach ihm suchen. Vielleicht war dem Autofahrer etwas passiert. „Nein, der ist ja auf ihn zu gelaufen“, beruhigte er sich. Und Elfrieds Fahrrad? Steffen hatte Glück gehabt. Es sah nicht zu schlimm aus. Er stieg ab und begutachtete die Sturzschäden. Diesmal in Ruhe. Das Schutzblech bog er gleich gerade. Das Vorderrad hatte eine Riesenacht. Das würde er ersetzen müssen. Das Licht auch. Wie sollte er das seinen Eltern erklären? Er blieb doch schon jetzt Montag und Donnerstag ohne Schulbrot. Eine Katastrophe. Immerhin funktionierte die Gangschaltung noch. Steffen rief Elfried an. Vor dem wollte er sich nicht verstecken. Elfried würde sauer sein. Das neue Fahrrad.

„Hi Elfried... ich bin's:Steffen.“
„Wo bleibst Du denn? Ich warte schon.“
„Elfried, da ist was dazwischen gekommen. Was wichtiges. Kommst Du ins TZH?“
„Was denn?“
„Kann ich Dir so nicht sagen.“
„Das Fahrrad?“
Elfried mit seinen Ahnungen.
„Nein, ist in Ordnung.“, log Steffen. Er konnte nicht anders. Sein Hals war verschnürt.
„Na, da hast Du Glück gehabt. Ich hätte Dich umgebracht.“
Steffen schluckte. Und blieb stumm.
„Okay, wann treffen wir uns?“, fragte Elfried.
„Am besten gleich.“
„Na, toll...“

Steffen überhörte Elfrieds Missmut und verabschiedete sich. Er hatte Angst Elfried vom Fahrrad zu erzählen. Er wollte Elfried lieber im Tor zum Herzen alles erzählen. Von Angesicht zu Angesicht. Ehrensache. Ehre war Steffen wichtig.

Als Steffen im Tor zum Herzen angelangt war, fand er schnell einen Mitarbeiter, der Zeit hatte. Der sah das Fahrrad und wunderte sich. „Bin gegen eine Wand gefahren“, log Steffen. Der Erwachsene kannte sich aus mit Wänden und wußte natürlich, daß diese nur mit besonderer Mühe zu treffen waren. Dennoch hinterfragte er Steffens Worte nicht. Er tolerierte den Unwillen zum Detail und konzentrierte sich auf Wesentliches: „Hast Du Dir weh getan?“, fragte der Erwachsene besorgt. „Nur ein paar Schürfwunden.“ Der Erwachsene schluckte wachsende Zweifel. „Zeig mal her.“ Steffen zeigte bereitwillig die Wunden. „Laß das Fahrrad mal stehen. Ich kümmere mich erst mal um Dich.“ „Aber..., das Fahrrad...“ - „Du bist wichtiger. Später kümmern wir uns um das Fahrrad.“ Steffen wollte aufbegehren. „Sinnlos.“, las er in des Mannes Augen. Er ging mit. Seine Abschürfungen wurden versorgt. Jodsalbe und Pflaster kamen auf die Wunden, sein Haar wurde freundlich verwuschelt und die beiden gingen zurück zum Fahrrad. Steffens Furcht bestätigte sich. Elfried war da. Er war fassungslos. Sein neues Fahrrad. Steffen wollte etwas sagen. Elfried tat ihm leid. Und Steffen hatte Schuld. Da konnte er nichts tun. Er wollte Elfried die Geschichte erklären. Elfried hörte weg. Er sprach nur von seinem Fahrrad. Und beschimpfte Steffen böse. Der Mitarbeiter mühte sich zu schlichten. Er behauptete, daß sie den Schaden richten werden und das das wichtigste Steffens Gesundheit sei. Doch den Jungen half das wenig. Weder dem wütenden Elfried, noch Steffen, der sich schlecht fühlte. So schlecht, daß ihm übel wurde. Er übergab sich schwallartig. Kreise und Blitze folgten. Er fiel um. Elfrieds letzte Worte hatten Steffen den Tod gewünscht. Elfried war erschrocken. Steffen lag vor ihm. Leichenblaß. Hatte er das gemacht? Der Mitarbeiter vom TZH prüfte Puls und Atmung und war froh: Er fand beide. Er legte Steffen auf die Seite und wies Elfried an, Hilfe zu holen. Doch der stand nur starr und fragte sich, was er getan hatte.

Im Krankenhaus war Elfried der erste, den Steffen sah, als er erwachte. Elfried wußte schon von der Hirnblutung, die vom Unfall stammen mußte. Trotzdem fühlte er sich schuldig. Schließlich war er es, der seinen Freund den Tod gewünscht hatte. Er blieb bei ihm, wich ihm nicht von der Seite.

Bis Steffen nach Amerika mußte. Aber das ist eine Geschichte, die ich Dir ein anderes Mal erzählen werde.


von Martin Teuschel

 Zum Seitenanfang

Zum Seitenanfang

breiten_mass_inhalt_spalte

 





Deine kleine Schnuppertour
  • Im Projekt Freiraum kann geduscht werden. Eine Dusche ist abgebildet.
  • Abbildung: Sauberkeit in Bad und WC. Ein Desinfektionsspender für die Toilette zum einfachen Gebrauch.
  • Böse Blumen: Ein Geschichtensammlung im PDF - Format
  • Glaube, Liebe, Hoffnung: Christliche Werte mit Tusche gezeichnet.
  • Sandra meint: "Was du hier schreibst ist Kitsch. Manchmal wünschte ich[..] eine Internetprüfung!" Was meinen andere?
  • Streetart zum Berliner Straßenkunstfestival Berlin-Lacht 2007 mit der Kurzgeschichte Straßenkunst
  • Berlin: Superstar Boxi spielt mit Styropor Stadtbau. Und baut dabei reichlich Tower 
  • Comic :Umzug in Berlin. Freunde helfen. Professionell ist das selten. Dafür gibts Renovierungstipps.
  • Ein Projekt das Gesundheit, soziale und informelle Gerechtigkeit, religiöse Toleranz und Integration fördern und fordern will, kann zur Verwirklichung seiner Ziele Grundregeln definieren.
  • Kurzgeschichte: An der orientalischen Bühne beim Karneval der Kulturen gab es wieder ein tolle Show.