Geschichten:
Radio TAT:
Serie : (kannst Du auch einzelnd lesen!)
und dazu gibt es viele Bilder |
Maxi und Celine
Sonntag. Im Kalender. In der Luft. Im Gefühl. Maxi genoss die Perspektive. Keine
Verantwortung, keine Verpflichtung. Erst nachmittags verabredet sein. Mit
Elfried. Doch bis dahin sollte noch viel Sand im Glas fallen. Ungewaschen in
Unterwäsche rührte er Milch und Zucker in seinen Kaffee: Sonntagsgeschmack. Ein
großartiger Kaffee vermochte
Freude und Wachheit schenken. Cremig braun und neben der Tasse gleichfarbige
Vollmilchschokolade. Die Vorstellung durch Kaffee schmelzende Schokolade
im Mund verschaffte ihm Gänsehaut. Diese Gedanken waren Maxis Realität
unmittelbar nah.
Sie lösten sich von der geschmacklichen Träumerei. Und irrten ungezielt weiter.
Einige schlugen Kapriolen und wurden Elemente eines freudigen Tanzes. Im
Gegensatz zum schnellen Spiel seiner Gedanken stand das Spiel seines Körpers.
Statt Tanz wirkte Schach. Ruhe und Trägheit dominierten entspannt in Eintracht.
Seine Hand rührte. Lautlos.
Der Kaffee drehte sich. Die Crema glänzte weiss in der Sonne. Seine Hand löste
sich vom Löffel, liess ihn einfach so liegen und streckte sich gemeinschaftlich
mit der zweiten, wobei die Arme den Händen folgten, hoch über die Schultern und
hinter dem Kopf in die Luft. Wildes Gähnen löste sich ungezügelt aus seinem
Mund. Und als der Körper sich von seiner Streckung erholte, lächelte Maxi
beseelt in Zufriedenheit. Er liess sie wirken und ergab sich ihr vollkommen.
Der Zeiger überschritt eine weitere Stunde. Ein letzter Schluck Kaffee. Weder
räumlich noch zeitlich weit von diesem letzten Schluck Kaffee entfernt, wurde
ein anderer Ruf nach dem selben Getränk laut. Die Stimme war weiblich. Doch vor
dem Ruf war Geruch. Duft frisch gekochten Kaffees hatte sich längst durch die
Wohnung verteilt.
Der Duft rührte daher, daß Frank den Kaffee schon bereit hielt und Marta ans
Bett brachte. In ihrem Gesicht lagen noch die Falten des Kopfkissens, doch diese
Falten wurden für den Mann, der sie liebte unsichtbar. Stattdessen nahm Frank
Marthas schweren, süsslichen
Duft sinnlicher Weiblichkeit und ihre behagliche, ihm so liebe Wärme wahr.
Er kroch wieder unter die Decke, behutsam, darauf bedacht Marthas ersehnten
Kaffee nicht zu verschütten. Sie war warm. Ihre Haut nackt und weich. Er lag bei
ihr, sie kuschelte sich an ihn und beide schmusten verliebt miteinander. Ihr
langes Haar streichelte sein Gesicht und seine Brust. Sein Arm umschloss ihre
Schultern. Ihre Hand teilte sein Haar in Strähnen. Kurz hielten sie inne.
Rückten hin und her. Suchten ihre Position. Strampelten in der Decke.
Spielten. Ein Kitzeln. Kichern. Strahlende
Augen. Wieder sanftes Streicheln. Dann: Telefonklingeln.
Gemeinsam dachten sie "Oh nein!", doch keiner wagte es auszusprechen. Vielleicht
war das Klingeln bald vorbei. Doch neben dem Wunsch lag tiefe Intuition. Martha
wusste nicht, ob das Klingeln eine besondere Stimme hatte oder ob es einen
anderen Grund gab, der sie spüren liess, das sie ans Telefon gehen würde.
Und so ging sie. Franks Blick folgte ihrem nackten Körper, folgte ihrer Figur,
ihren Bewegungen und wünschte sich, das dieses Bild nie in seiner Erinnerung
verbleichen würde. Zurück blieb er im leeren Schlafzimmer. Und hörte Marthas
Stimme. Die Worte "Ich komme." waren vollkommen unerotisch und gaben ihm
Gewissheit, daß dieser Sonntag sich nicht mit seinen Vorstellungen deckte.
Oder irgendwie doch. Er war sich sicher, daß Celine angerufen hatte.
Heute hatte sie ihre Ausstellung. Er war mit Martha eingeladen worden. Und
den Tag wollten sie in Ruhe verbringen. Natürlich kannten er und Martha Celine
schon lange und so hätte er schon zuvor ahnen können, das aus dem ruhigen Tag
nicht viel werden würde. Celine und Martha waren beste Freundinnen. Martha würde
gehen. Ein bisschen Traurigkeit traf ihn.
Es war die Art von Traurigkeit, die sich giftig in die Gedanken bohrt, und
grossen Schaden anrichten kann, obwohl der Grund der Traurigkeit vielmehr darin
lag, aus verliebter Umarmung in Liebe mit ihrer ganzheitlichen Realität zu
erwachen. Frank schluckte seinen Kummer, wusste er doch: Martha hätte ihn ohne
Celine nie über all die Jahre ertragen.
Kurz er war Celine zu Dank verpflichtet und noch bevor Martha ihm sagen würde,
das sie Celine träfe,
überlegte er, was er mit seiner neuen Freiheit anstellen würde. Seine Gedanken
wurden unterbrochen von:" Celine hat angerufen. Sie ist vollkommen fertig. Sie
braucht meine Hilfe." Mit kurzem Nicken, fast als erteilte er Absolution,
stimmte er ihr zu und küsste sie. Kurz. Flüchtig. Liebevoll.
Martha verliess eine Stunde später nach einem weiteren Kuss, geduscht,
geschminkt, gekleidet die Wohnung und hinterliess Leere und Frank.
Frank atmete durch, dann auf. Er horchte. Kein Klappern. Kein Umherlaufen.
Stille. Er genoss sie kurz und intensiv und unterbrach sie mit dem Wartezeichen
des Telefons. Auf der anderen Seite hörte er das übliche "Hallo." "Hi Maxi.
Frank. Was machst Du gerade?"
"Rekonvaleszenz."
"Hä?", fragte Frank zurück. Wörter aus der Fremde waren nicht seine Stärke.
Er schämte sich dessen nicht.
"Ich erhole mich.", verbesserte sich Maxi.
"Hast Du Lust das mit mir zusammen zu machen?"
"Klar, warum nicht?"
Nach einer weiteren Stunde trafen sich die beiden im Shi-Sei-Na. Sie schüttelten
einander die Hände, klopften sich auf die Schultern und entschieden mit hinter
dem Rücken verdeckten Spielstein, das Maxi beim Damespiel begann.
In Celines Wohnatelier saßen die Freundinnen am Boden und ließen die
Mittagssonne, die durch die großen Fenster schien, Tränen trocknen.
Nach einer blutig-traurigen Reise durch ihr gemeinsames Leben und tausend
Worten, die unbegründeter Angst zu ihrer Grösse verhalfen, hatte Celine ihre
größte Panik überstanden und viele Worte an Martha verschenkt.
Diese, stets eine gute Zuhörerin, hatte sie dankend angenommen, in Mut spendende
Energie verwandelt und an Celine zurückgegeben.
Wiedereinmal hatten beide von ihrer langen Freundschaft profitiert und die
Kraft, gemeinsam die Ausstellung vorzubereiten gewonnen.
Sie trugen die Bilder und Skulpturen in den Miettransporter. Als sie genug
getragen hatten, verliessen die beiden das Atelier. Celine lehnte sich an
Marthas Schulter und weinte erschöpft. Ob Martha froh war, das die
Vorbereitungen durchstanden waren, liess sich nur erahnen. Ihr Gesicht war
voller Zuneigung, doch irgendwo in ihrem Hirn musste die Planung für den Tag
ablaufen. So viel war sicher. Sonst gäbe es ein Fiasko. Und was Martha wirklich
hasste waren Fiaskos. Sie drückte Celine fest an sich und führte sie in den
Wagen. Auf den Beifahrersitz. Dann verschloss sie das Atelier, bekreuzigte sich
dreimal und setzte sich zu Celine. Sie fuhren zum "Tor zum Herzen".
Tor zum Herzen: Das Tor zum Herzen beherbergt neben Seminar- und
Gemeinschaftsräumen auch einen Ausstellungsraum, der immer wieder gerne
von Künstlern genutzt wird. Kostenlos, versteht sich von selbst. |
Frank und Maxi sassen vor dem Shi-Sei-Na und sahen auf ihr Damespiel. Zwischen
den Zügen vergingen Minuten voller Worte. Sie spielten nicht ernsthaft, machten
dumme Fehler und gewannen abwechselnd. Und immer wieder wenn eine Frau an ihnen
vorbeizog und den Freunden das Atmen erschwerte, hielten sie ein und sahen der
Schönen hinterher. Es war Sommer und es stimmte die beiden durchaus glücklich,
das die Modeindustrie alles daran setzte weibliche Körperlichkeit verführerisch
zu gestalten. "Die Welt ist das Paradies", sagte Maxi während seine Blicke an
langen Absätzen, die ihrerseits noch viel längere Beine zierten, klebten. "Du
hast recht.", stimmte ihm Frank zu, während er Maxis geistige Abwesenheit
nutzte, ein paar Steine entgegen jeglicher Dame-Regeln zu verschieben. "Wow.",
entglitt es Maxi.
Frank grinste. Das Spiel hatte sich zu seinem Vorteil verändert.
Es war ein leichter Tag. Milchkaffee. Croissants. Flanierende Menschen.
"Ich treffe mich nachher mit Elfried im Mitmachhaus. Wir wollen ein paar
Tische und Stühle reparieren. Hast Du auch Lust?"
Tische und Stühle reparieren sich nicht von Selbst. Im Tor des
Herzen, hier Mitmachhaus genannt, reparieren die Mitglieder selbst.
|
"Nee, ich will heute nichts reparieren. Aber ich komme auch zum "Herzen". Celine
hat dort eine Ausstellung."
"Celine? Kenn' ich die?"
"Ja, die kleine schwarzhaarige Künstlerin. Eine Französin mit sehr hübschem
Mund. Und Kulleraugen. Die Freundin von Martha."
"Klein und schwarzhaarig? Französisch? Ich glaube... Ja, die kenne ich..."
"Ja, natürlich. Sie ist Marthas beste Freundin. Du kennst sie vom Geburtstag."
"Nein. Glaube ich nicht. Bei euch sind immer so viele beim Geburtstag."
"Mit dem kleinen festen Kugelhintern... Maxi, sie erinnert sich. Mach mich
nicht traurig."
"Kugelhintern?" Maxis Augen drehten sich verspielt, setzte seinen Zeigefinger
unter sein Kinn, beugte sich vor und sagte:
"Die, mit dem Kugelhintern? Künstlerin? Französin? Celine... "
"Ja, genau die."
"Die an der alles ein bischen kugelig ist?"
"Ihr Bauch nicht."
"Sie ist sehr weiblich. Sexy. Und ausgeflippt."
Wortlos stimmte Frank Maxi zu.
"Ich hatte sie mal angesprochen, naja, sie ist eben sehr sexy. Aber etwas
anstrengend."
"Ein Vollweib?"
"Sieht fast so aus."
"Naja, egal. Heute stellt sie auf jeden Fall aus. Ich werde hingehen. Martha
ist schon da. Guck doch auch mal rein. Wird bestimmt lustig."
"Lustig ... eine Vernisage?"
"Na klar, wenn wir zusammen da sind. Und ist doch nur eine Tür weiter."
"Ja, okay, ich komme... aber erst später. Ich habe wirklich keine Lust
mir das Geschwafel über die Welt und Kunst anzuhören."
"Perfekt. Komm. Neues Spiel."
"Ein neues Spiel", murmelte Maxi und vergaß alle Sorgen dieser Welt, während vor
seinen Augen sich Beine durch den langen Schlitz eines weissen Kleides wanden.
Und das weisse Kleid lief der Sonne entgegen.
Noch mehr Sand fiel auf den Glasboden. Unaufhörlich rieselte er weiter. Der Berg
wuchs kaum merklich
in den Himmel.
Martha und Celine kämpften gegen den Berg an. Sie kamen zum "Tor zum Herzen",
brachten die Bilder in den grossen Ausstellungsraum und hängten sie im
Versuch auf und geprüft ab. Und wieder auf.
Der Ausstellungsraum umfaßt fast die gesamte erste
Etage. die Wände sind hier
flexibel. |
Es fiel ihnen nicht leicht. Weder zeitliche Ordnung noch thematische oder gar
stilistische liessen sich erstellen.Sie versuchten die Farben miteinander
abzustimmen, und auch sie gegeneinander kontrastieren zu lassen. Die Frauen
rannten von hier nach dort. Und wieder zurück. Die Hand am Kinn,
am Hinterkopf, geballt zur Faust, den Handrücken der zweiten kratzend, an den
Lippen zupfend, zwischen die Nase zwickend. Sie dachten, probierten,
diskutierten um sich ihrem Ziel zu nähern. Unter ihren Anstrengungen
verwandelten sich die Wände in die ersehnte Galerie.
Wollust und Fleisch in öl umgarnten jetzt jungfräuliche Keuschheit, während über
und unter ihnen die schwarze Serie einen Rahmen bot. Die schwarze Serie umfasste
24 Bilder schwarzer Rosen und galt als unvollendet. Als Celines
ältestes Projekt. Sie sah es als Lebensaufgabe an. Das hatte sie bekannt
gemacht, obwohl sich viele zuvor an den schwarzen Rosen versucht hatten. Die
meisten Rosen anderer Künstler fristeten ihr Dasein in Wohnzimmern und Küchen,
während Celines Rosen die Titelblätter internationaler Kunstmagazine schmückten.
Es war Celine gelungen
in dieser Serie ihr Gefühlsleben zu dokumentieren, kleinste Änderungen der
Motive traten immer in den Vordergrund und verursachten dem Betrachter
Gefühle, die vom Zwiespalt zur Harmonie führten. Obwohl die Bilder so einfach
wirkten, waren in ihnen durch Studium und Erfahrung erworbene Techniken
angewendet, die dem gelehrten Betrachter eine faszinierende Komplexität
offenbarten, und dem Laien erlaubten sich beim Anblick der Kompositionen zu
verträumen. Celines Kunst erweckte Gefühl.Eine andere Natur
hatte das Tischbein inne. Es war kaputt. Schon oft repariert. Wunderschön
gedrechselt mit Engeln verziert lag warm und glatt das Holz in Maxis Hand. Doch
die Natur des Tischbeins lag, wie bereits angedeutet keineswegs in der Kunst.
Die Natur lag darin Gebrauchsgegenstand zu sein und einen damit verbunden
bodenständigen Nutzen zu haben.
"Schon wieder", grinste Elfried.
"Schon wieder?",fragte Maxi.
Maxi und Elfried standen in der Werkstatt im "Tor zum Herzen".
in der Werkstatt:
werden Dinge neu gebaut, repariert und
erfunden. Ausserdem gibt es Heimwerkerkurse, die, wie konnte es anders
sein, Elfried leitet. |
Elfried
verstand das Handwerk, Maxi hatte hilfsbereite Hände. Und Maxi arbeitete gerne
mit Elfried zusammen. Elfried war deutlich älter als Maxi, so alt, das er schon
als Inventar des "Tor zum Herzen" galt. Der freundliche, alte Mann verbrachte
hier den größten Teil seiner Zeit.
Er reparierte und organisierte, brachte sich immer in bedeutende
Änderungen ein und war glücklich mit den immer wieder neu auftretenden Aufgaben.
Er hatte Zeit, denn er hatte das Glück finanziell unabhängig zu sein. Er musste
sich nicht um Gelderwerb kümmern, und konnte seine Zeit mit seinen Freunden zur
Verwirklichung seines verträumten Gedankenguts verwenden.
Obwohl er in direkter Nachbarschaft wohnte, verbrachte er hier viele Nächte
und folgte den Geschichten junger Reisender, die hier ihren Urlaub verbrachten.
Wenn der Morgen graute begab er sich wieder in seine Wohnung, und
fiel in seinen tiefen, traumhaften Schlaf, wohlwissend das seine Ideen jetzt
mit den Köpfen junger Menschen in fremde Länder reisen würden.
"Schon wieder. Das passiert bei diesem Tisch oft."
Maxi sah ihn fragend an:
"Bei diesem Tisch? Immer das gleiche?"
"Ja", antwortete Elfried.
"Vielleicht ist mit dem Tisch etwas nicht in Ordnung.
Vielleicht müssen wir sein Bein komplett austauschen."
"Haben wir schon probiert."
"Und den Tisch komplett austauschen?"
"Er ist wunderschön." Da hatte er recht. Maxi betrachtete das dunkle Holz, die
geschliffenen Linien, die grossen schwarzen Bolzen und Schrauben.
"Weisst Du warum er immer wieder kaputt geht?"
"Ja, das weiss ich."
"Warum?"
"Das verrate ich Dir nicht." Elfried grinste als er daran dachte, wie der Tisch
üblicherweise zu Bruch geht.
"Ein Geheimnis.", fügte er hinzu.
"Ein Geheimnis?", fragte Maxi zurück.
"Ja, ein Geheimnis."
Maxi sah ihn an. Ein Tisch und sein Geheimnis. Elfried war seltsam, aber gewiss
nicht verrückt. Und Elfried verfügte über einen bestimmenden Ton, der Maxi
versicherte, das die Antwort nicht über Elfried Lippen kommen würde.
Also reparierten sie den Tisch. Er sah sich das gebrochene Bein an. Er verglich
es mit den anderen. Die Engel, waren den anderen nachgeschnitzt worden. Wie die
anderen war das Bein gedrechselt.
Eine gute Kopie. Selbst die
mangelnde Stabilität war identisch. Sie machten sich an die Reparatur. Sie
schliffen und bohrten, leimten und verbanden die Elemente mit Holzdübeln. Der
Tisch war wieder wie neu. Die Schraubzwingen hielten ihn fest. Elfried
demonstrierte schon jetzt seine Härte und Stabilität. Er setzte sich darauf.
Wackelte ein wenig. Kippte den Tisch an. Der Leim war zwar erst kurz getrocknet,
doch das Bein hielt.
"Der Leim ist super. Gesponsort."
Gesponsort : Wie finanziert sich das "Tor zum Herzen" und seine
Erhaltung? Natürlich durch Sponsoring. Gefragt sind hier an erster Stelle
finanzkräftige Menschen mit Interesse am Experiment und Mut zur Änderung
sozialer Gefüge. Doch auch ganz andere Motivationen verhelfen dem
"Tor zum Herzen" zu Qualität und Erfolg. |
Maxi sah auf das Etikett und wunderte sich über den Sponsor.
Das "Herz" wurde immer bekannter. Doch er hütete sich davor etwas zu sagen,
sondern hob nur seine Augenbrauen. Schliesslich sprach er mit Elfried. Wie
schon gesagt: Ein sehr netter Mann. Doch alle Menschen mit Höhen hatten auch
Tiefen. Und eine bestand aus langen, dogmatischen Reden
über Kapitalismus und freie Marktwirtschaft. Diesbezüglich glich Elfried einem
Uhrwerk. Wurde es aufgezogen, war es nicht zu stoppen.
Elfried begann und langweilte viele, gute Seelen mit seiner Rede. Besonders
schlimm wurde es, wenn der Inhalt zuvor bekannt war. Maxi kannte den Inhalt
dieser Rede und wechselte, noch bevor er ein falsches Wort sagen konnte, das
Thema. Der Strohhalm hiess Ausstellung. Die interessierte auch Elfried.
"Kennst Du die Künstlerin? Celine Bou? Sie ist fantastisch. Ich kenne sie noch
von früher. Schon als Kind kam sie zum malen hierher.
Schon als Kind kam sie zum malen hierher. : Auch unter dem Aspekt
des Nachbarschaftshauses mit integrierter Kinderbetreuung und Förderung
erwachen Kräfte, die sich gern zurückbesinnen und mit ihrer Kraft dem "Tor
zum Herzen" helfen. Mehr dazu in der Geschichte um
Sandros. |
Und heute ist sie
weltberühmt. Und was macht sie? Sie stellt im Mitmachhaus aus. Wie früher:
"Mit ihren Rosen. Fantastisch."
"Celine war schon als Kind in Berlin?"
"Ja, ihre Eltern sind französische Diplomaten. Celine war in Berlin, Dubai,
Paris, Rom, New York und heute lebt sie..."
"...in Berlin.", vollendete Maxi den Satz.
"Du kennst sie?", fragte Elfried erneut. Diesmal wartete er jedoch auf Maxis
Antwort.
"Nicht gut! Sie ist die Freundin von Martha, Franks Freundin."
"Frank...", murmelte Elfried und verschluckte den Nachsatz ",der beim spielen
betrügt."
"Was?"
"Nichts, nichts... Gehen wir zusammen hin?"
"Ja, aber bitte nach der Rede..."
Elfried überraschte Maxi:
"Ich möchte die Rede gerne hören."
"Wir sehen uns bestimmt danach...", antwortete Maxi. Sie stellten den Tisch zur
Seite und wandten sich an den nächsten.
Kinderbilder tief auf glattem Holz. Mit Metall geritzt.
Mit Metall geritzt. Natürlich gibt es auch im "Tor zum Herzen"
Phänomene wie Zerstörungswut und auch Kriminalität. Diese Phänomene
scheinen sehr menschlich zu sein. Aber was einer falsch macht, ist noch
längst kein kollektives Vergehen. Es verbleiben glücklicherweise immer
Gutwillige.
Der Umgang mit Schäden ist in den
Grundregeln
geregelt.
|
Sie waren nicht
sehr
schön. Doch Elfrieds Reparaturgrund waren Holzsplitter. Die Bilder gefielen
ihm nicht. "Zeitzeugen", murmelte er.
Elfried und Maxi wollten den Tisch restaurieren. Einerseits war ihnen klar,
das eine Reparatur den Tisch neu erstrahlen liesse, aber andererseits ginge
die kindliche Kreativität verloren. Die komplette Erneuerung weckte kindlichen
Protest, der oft in Zerstörung gipfelte. Erwachsensein, gepaart mit Erinnerung
an die Kindheit führte zu Elfried und Maxis Entscheidung.
Das Hohleisen vertiefte einige eingeritzten Zeichnungen. Die restlichen füllten
sie mit Holzspatel. Als Elfried gegangen war, arbeitete Maxi alleine weiter.
Einen Stuhl konnte er noch schaffen. Das war nicht schwer. Er schliff, dübelte
und leimte bis zwanzig Uhr.
Voller Staub und durchgeschwitzt schlich er sich an der Vernisage vorbei.
Die Gäste lauschten Celines Eröffnungsworten. Auch Maxi nahm einige Wörter
auf. Der Gehalt war nichtssagend. Aber ihre Stimme. Etwas war anders als
sonst. Ein leichtes Zittern. Etwas lag in ihrer Stimme, die er genauso wie
früher im Hintergrund einer Party zwischen den Stimmen anderer
Gäste vernommen hatte. Die Stimme bannte ihn kurz. Sie bewegte etwas in ihm.
Und zwar sein Herz. Fast besinnungslos lauschte er dem Ton. Sie war seine
Sirene. Blind, denn seine Augen waren geschlossen, horchte er hin.
"Was machst Du denn hier? Willst Du dich nicht waschen?"
Elfried hatte ihn gesehen. Maxi öffnete die Augen. Er war ein wenig verwirrt.
"Ja, ja...", antwortete er. "Ich bin nur... ich bin echt müde."
"Na, dann geh doch runter und wasch Dich, zieh dich um, leg Dich ein halbes
Stündchen hin."
"Ja, das sollte ich tun.", sagte Maxi und ging hinunter in den Umsonstladen.
Er besorgte sich neue Kleidung.
Er besorgte sich neue Kleidung : und
das mit gutem Grund. Im "Tor zum Herzen" gibt es eine Kleiderordnung.
Sie dient gleichermassen der Hygiene, als auch der Angleichung sozialer
Unterschiede. Im "Tor zum Herzen" wird gespendete Kleidung mit
einem Clublabel versehen, so dass Clubzugehörigkeit erkennbar ist. Ohne
Label bleibt der Aufenthalt im "Tor zum Herzen"
verwehrt.
Gespendete Kleidung ermöglicht immerhin eine geschmackliche Auswahl und
vermeidet, das Neumitgliedern den Eindruck einer Sekte mit der üblichen
Einheitskleidung gewinnen. |
Die schöne Kleidung war natürlich schon
weg. Die Gäste der Vernissage waren ihm zuvor gekommen. Also nahm er was blieb.
Im Keller surrte die Lüftung. "Fast unheimlich", dachte er. Ganz allein stand er
hier im weiß gekachelten Raum. Die neue Kleidung hängte er an die
Tür der Dusche.
Dusche: Duschen geören zum Hotel,
sind für alle frei nutzbar, bei manchen werden sie sogar zur Vorschrift.
Geruchvolle und verwahrloste Gäste erhalten durch Sauberkeit Möglichkeit
zur Integration. |
Er ging in die Duschkabine hinein. Als die Klapptüren
hinter ihm verschlossen waren, zog er sich aus. Dann liess er das Wasser
laufen. Lauwarm. Wie immer. Der August verlangte anderes.
Lauwarm: Um Energie zu sparen ist das Wasser einheitlich
temperiert. |
Eiskaltes Wasser. Lauwarm war ein Kompromiss. Maxi mochte kein Kompromisse. Und
trotzdem genoss er die Befreiung von Staub und Schweiss. Er kleidete sich: Sein
Oberkörper verschwand im riesigen, blauen XXL-T-Shirt und die Beine zierte ein
langer Rock. "Unisex im Tor des Herzen.", grinste er in sich hinein.
Manchmal hasste er die Kleiderordnung im "Tor zum Herzen".
Sicherlich, er war nicht der erste Mann mit Rock, wusste er. Er wusste aber
ebenso, das nur wenige Männer ausserhalb des Mitmachhaus,
Schottlands und einigen Schwulenclubs Frauenkleidung trugen. Stefan hatte
sich aus diesem Grund eine Hose aus dem Umsonstladen mitgenommen, die er
jedesmal mitbrachte, um zu vermeiden einen Rock tragen zu müssen.
Stefan: Regeln umgehen. Nicht dem
Zufall die Kleidungswahl überlassen. Eine andere Variante zeigte ein
anderer Herr auf. Ein Leben ohne Armani war ihm nicht vorstellbar. Also liess er eine Schneiderin zu jedem Besuch ein Label auf seinem Anzug
sticken und schenkte die Kleidung später dem Umsonstaden. Dieses
Verhalten löste zwar zuerst einigen Missmut aus. Einige Mitglieder
dachten an
Kündigung durch Abmahnung, andere an
Regeländerung.
Schliesslich wurde beides augenzwinkernd verworfen und der Club erhielt
eine grosse Auswahl an vorgelabelten Armani-Anzügen, die nicht nur bei
speziellen Veranstaltungen besondere Beliebtheit erfuhren. |
Das allerdings war Maxi zu viel Aufwand. Wozu auch? Seine geschlechtliche
Identität war ihm stets bewusst. Daran würden weder Rock noch Kleid rütteln.
Er war Mann.
Vom Staub befreit und frisch geduscht tauchte er pünktlich zum
Ende der Rede auf und applaudierte Celine.
Maxi sah die Bilder. Sie gefielen ihm. Später würde er Celine gratulieren, doch
erst überliess er sie den anderen. Die hatten tausend Fragen. Er nur Bauchlob.
Maxi stand vor der Madonna. Das Bild wirkte auf ihn sehr erotisch. Sie hielt ihr
Kind im Arm und das Kind griff ihren Busen. Aber ihr Busen wirkte nicht
mütterlich. Im Gegenteil, wie die Madonna wirkte er jungfräulich und unerhört
begehrenswert.
Die Mutter Gottes bannte ihn: Lippen und Lächeln eröffneten Verführung. Er
leckte kurz seine Lippen. Er betrachtete die Falten ihres überhangs, ihre
sanfte Haut. Fast glaubte er sie riechen zu können. Ihren Atem zu spüren. Bis
eine Stimme ihn begreifen liess: Es waren Atem und Parfum einer realen Frau.
"Sexy, nicht wahr?", fragte die Frau.
In ihrer Stimme lag dasselbe Vibrieren,
das er heute schon einmal vernommen hatte. Es war Celines Stimme.
Ihr französischer Akzent bewegte sie. Mehr als sonst. In ihm war verwirrende,
ihm bisher unbekannte Empfänglichkeit für diese Frau. Er traute sich nicht zu
denken und doch weit unter dem Ursprung seiner Gedanken, fast einen halben Meter
fusswärts, regte sich Empfinden: "Die Einzige."
Diese Empfindung hatte er doch längst verboten. War es nicht so. Dennoch: Sie
ergriff ihn. Und er spürte ihren Atem dicht an seinem Ohr. Sehr dicht. Zu dicht?
Wo wäre sein Mund, wenn er seinen Kopf drehte. Würden sich Lippen küssen? Und
müssten sie es später büssen?
Er widersetzte sich der Drehung und raunte stattdessen. Tief zustimmend.
Celine legte ihre Hand auf die Schulter und begrüßte Maxi leise flüsternd:
"Maxi, schön Dich zu sehen. Gefällt sie Dir?" Maxi drehte sich. Jetzt lagen die
Augenpaare dicht an dicht. Tief schaute er in die Grünen.
"Sehr sexy", antwortete er. Und die Worte versiegten. So unsicher Celine bei
Ausstellungen war, so sicher war sie in der Liebe. Sie legte ihm ihren rechten
Zeigefinger
auf die Lippen.
Presste sie zu. Dann griff sie, dabei ihren ganzen
Körper in Pose und Kurve bewegt, mit ihrer linken Hand seine und zog ihn mit.
Tänzelnd schlängelten sich die Gefundenen hinaus. Dem Publikum entronnen fanden
sie ihr Versteck in der Werkstatt.
Obwohl ihre Münder nicht still hielten, mangelte es an Worten.
Dicht an dicht genossen sie das Gefühl fremder Haut.
Hände folgten Körperformen. Atem wurde langsam, tief und laut. Frisiertes
verlor sich wild. Nadeln fielen zu Boden. Lidschatten und Lippenstift verliefen
in Augusthitze. Umarmungen schlossen sich und weckten noch tiefere Leidenschaft.
Innige Küsse erzeugten Bewegung. Diese übertrug sich aufs Mobiliar. Schnelle
Vibration und Paukenschläge wechselten im Tempo.
Rhytmische Geräusche verbanden sich mit Freudenrufen zu bekanntem Lied.
Fingernägel krallten sich fest. Wollten nie mehr loslassen.
Nochmehr Küsse überdeckten ihren Hals, bevor der tiefe Fall kam. Es krachte
laut. Die Liebenden erschraken. Auf den Boden gefallen erkannten sie ihre
Lage. Laut und glücklich entfesselte sich Lachen. Unaufhörliches Lachen. Die
Last der Liebe hatte das Tischbein zerbrochen.
von Martin Teuschel Zum Seitenanfang | |
Deine kleine Schnuppertour- Im Projekt Freiraum kann geduscht werden. Eine Dusche ist abgebildet.
- Abbildung: Sauberkeit in Bad und WC. Ein Desinfektionsspender für die Toilette zum einfachen Gebrauch.
- Glaube, Liebe, Hoffnung: Christliche Werte mit Tusche gezeichnet.
- Sandra meint: "Was du hier schreibst ist Kitsch. Manchmal wünschte ich[..] eine Internetprüfung!" Was meinen andere?
- Streetart zum Berliner Straßenkunstfestival Berlin-Lacht 2007 mit der Kurzgeschichte Straßenkunst
- Berlin: Superstar Boxi spielt mit Styropor Stadtbau. Und baut dabei reichlich Tower
- Comic :Umzug in Berlin. Freunde helfen. Professionell ist das selten. Dafür gibts Renovierungstipps.
- Ein Projekt das Gesundheit, soziale und informelle Gerechtigkeit, religiöse Toleranz und Integration fördern und fordern will, kann zur Verwirklichung seiner Ziele Grundregeln definieren.
- Kurzgeschichte: An der orientalischen Bühne beim Karneval der Kulturen gab es wieder ein tolle Show.
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