Geschichten:
Radio TAT:
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und dazu gibt es viele Bilder |
Sandros stieg die Treppe hoch. In der ersten Etage fand er Celine. Wie
verabredet wartete sie vor dem zweiten Seminarraum. Dort sollte der Film gezeigt
werden. In beiden Gemütern tobte Aufregung.
Bisher:
Sandros wurde von Pedros auf das Tor zum Herzen aufmerksam gemacht. Neugierig reiste er
nach Berlin, wo der Portier Michele
übermüdet wachte. Der Spanier
verstand sich gut mit
dem Italiener und wurde Clubmitglied. Frisch
geduscht und nach
traumhaften Schlaf sah er Celine.
Einander sympathisch teilten die beiden Zeit bis Sandros zur
Kuhmaschine mußte. Vor
dem Wiedersehen mit Celine geht Celine zur Malgruppe und wird nackt
porträtiert.
Sybille, Celines Ziehmutter lernte in einem
Plenum Raymond
kennen. Doch das Rendevouz wird gestört: Celines Vater
verunglückt.
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Diese rührte nicht von hohen Erwartungen an den alten Film. Nein, das
Wiedersehen verursachte in den jungen Menschen Gefühlswirbel. Wohlig waren sie
auf diesen Moment zugegangen.
Beide trugen sie des anderen Bild in ihrem Herzen. Und jetzt: Sie standen sich
gegenüber. Und sie vergaßen, die Qualitäten ihrer Hände und Zungen. Kein
Krächzen wich ihren Stimmbändern. Stattdessen redeten ihre Augen. Sie schrieben
ungewußte Worte in das Gegenüber. Geheimnisvoll plauderten Funkeln und Glitzern
über Dinge, die Menschen seit jeher verbanden. Lichtreflexe versprachen
Vertrauen und Liebe. Hoffnung erwachte. Vergessen standen Celine und Sandros
sich gegenüber. In die Stille trat die Gruppe japanischer Schüler. Ihre
Taubstummheit, die am Morgen einen Taifun entfacht hatte, ehrte jetzt ihren
Namen. Die Stille zwischen Celine und Sandros vergrößerte sich. Mit dem
gespenstischen Erscheinen der Kinder wuchs sie zu einem brausendem Meer. Die
Kinder ließen die beiden Sprachlosen zurück und verschwanden in Raum Drei. Dort
erwartete sie eine Einführung in die Berliner Stadtgeschichte. Celine fasste
ihren Mut zusammen. Und davon brauchte sie viel, denn gerade nach einer solchen
Stille konnte jedes Wort falsch sein. Doch einer würde sprechen müssen, ahnte
sie. Sie atmete tief ein, ließ kurz die Augenlider sinken und war bereit ihre
Worte durch die Stimmbänder zu pressen, um sie dann im Mund zu formen, als sie
hörte: „Gehen wir rein!“ Wie dankbar war sie Sandros für seine Aufforderung. Die
Luft verließ ihren Mund ein zartes „Ja.“ hauchend.
Im Raum Zwei herrschte Betriebsamkeit. Die Filmgruppe trug Stühle umher, rückte
Tische und arrangierte Sitzkissen. Die Fenster wurden verdunkelt und der Vorfilm
gestartet. Es war ein ruhiger Film über einen Mann der hinaus zog, sein Glück
fand und zufrieden starb. Die Geschichte war eingängig positiv und doch nicht
langweilig: Zum Happy-End führte tiefes Unglück, das zur Wandlung bereit war und
den Zuschauern Spannung ließ. Nach diesem Open-Source-Film warben Gruppen für
ihre Projekte im „Tor zum Herzen“ und die Dunkelheit färbte den Raum schwarz.
Tüten raschelten, zwischen Sitz und Liegekissen kicherten Mädchenstimmen, die
durch lautes Chipskrachen zwischen glänzenden Zähnen übertönt wurden. Dem
Kinoabend gedieh Atmosphäre. In die Dunkelheit tönten die Bläser und das „Warner
Bros“ Logo leuchte auf. Humphrey Bogart, Ingrid Bergman und Paul Hendreid wurden
für Casablanca angekündigt. Erschrocken durch die lauten Instrumente rückte
Celine ein wenig näher zu Sandros. Unbemerkt. Doch in der Luft mischten sich
beider Düfte. Opiatisch legte sich Wohlsein zwischen die beiden. Naturkraft
entführte sie ihrer technischen Zivilisation. Ohne die geringste Bewußtheit und
mit Hilfe des schattigem Lichtspiels betörten beider Gerüche Sandros und Celine.
Die Zündschnur brannte unbemerkt. Und in der Bombe strebten aphrodisierende
Blumen romantisch nach Explosion.
„Play it once, Sam. For old times sake.“,
bat Ilsa, nachdem sich ihr Gesicht aus einem kurzen betrübten Augenblick
zur unsagbar überzeugender Freude erhob. Ilsa strahlte, sie warf dem Pianisten
mit gesenkten Lidern Luftküsse zu, bevor ihr Mund sich öffnete und gewinnend
lächelte. Kein Mann, nicht einmal Sam, konnte dieser Frau widerstehen. Ihr Kopf
war leicht in den Nacken gelegt, sie hatte sich Sam zugewandt, ihr Arm lud ihn
geradezu ein, sich diesem hinreißenden Geschöpf mit seinen dichten Wimpern und
der leicht gebogenen, kleinen Nase zu nähern. Doch das stand nicht im Drehbuch.
Ilsa ließ keinen Zweifel an ihrer Bitte, wiederholte sie mit der gleichen,
zärtlichen Dringlichkeit und überrannte Sams Widerstand. Er würde spielen, auch
wenn es Rick schmerzte. Und er sang:
„You must remember this.
A Kiss is just a kiss.
A Sigh is just a sigh.
The fundamental things apply
As time goes by
And when two lovers woo
The still say , „I love you“
On that you can rely“
Und während aus seiner Stimme die Kraft alter Verletzungen vibrierte, funkelten
in Ilsas Gesicht nur noch Ohrringe. Und die Träne am Augenlid. Ilsa verdunkelte
sich, ihre Lippen bebten kraftlos.
Sandros berührte Celines Hand. Ein schüchternes, fast versehentlich scheinendes
Moment. Celine zitterte vor Wärme. Und wünschte sich noch eine Berührung. Und
folgte geschwächt der afrikanischen Erzählung. Figuren erschienen, Spannung baute
sich auf und Wendungen ließen Bewegungen zu. Bewegungen, die es Sandros
erlaubten seinen Arm um Celines Schulter zu legen, ohne dass sie es bemerkte,
obwohl sie sich wünschte seinen Arm zu spüren. Doch vielleicht... vielleicht
hatte sie seinen Arm doch bemerkt. Vielleicht ließ sie sich nur nichts anmerken.
Sandros bemerkte ihre
Schultern. Ein fester Stoß durchzog seinen Arm. Die Marseillaise wurde gespielt.
Celine und einige andere Franzosen sangen laut mit Victors fester Stimme und
schwingender Takthand. Das Deutschsprachige Lied, von dessen Text in Sandros
spanischen Ohren nicht mehr als das mißverstandene Wort „Waterkant“ blieb, wurde
übertönt. Nach dem Lied faßte Celine seine auf der Schulter liegende Hand an.
Würde sie sie weglegen? Im Gegenteil: Sie zog sie fest an sich und streichelte
seine Finger.
Sandros wartete mit dem Kuss. Die Spannung im Film stieg. Capitaine Renault
hatte das „Rick's“ schliessen lassen.
Atem stand still, Münder blieben geöffnet, das Publikum war entsetzt. Celine
drückte Sandros Hand fest. Und er sie fest an sich.
Wo zuvor Berührungen einander trafen, trafen sich Blicke. Und genauso zufällig
wie Sandros erste Berührungen Celine trafen, fanden sich die Blicke der jungen
Menschen. Weitere Zufälle erlaubten die Beobachtung der Schatten des
Schwarz-Weißfilms auf bewegtem Profil, dessen Gesicht dem Film zugewandt war.
Dann wandte sich das beobachtetende Antliz selbst dem Film zu, um später
ebenfalls bewundertes Studienobjekt zu werden. Je öfter zufällige Blicke sich
trafen, desto mehr nahten die Gesichter: Sandros zu Celine. Celine zu Sandros.
Dann wieder zum Film, dessen Handlung glücklicherweise einfach blieb. Natürlich
entschwanden ihnen Details, doch dem Fluss der Geschichte rannten sie hinterher,
bis Ricks Schritte sich in wilden Kontrasten die Treppe hoch schwangen. Rick
drang in das diffuse Licht halb geöffneter Jalousien ein. Ilsa wartete dort.
Ilsa und Ricks Worte umrissen Gefühle. Trauer, Misstrauen, Wut und Argwohn
verletzter Seelen stießen gepeitscht von Angst zusammen. Betteln und
Erinnerungen an die Vergangenheit traten aus geöffneten Augen im Schatten
liegender Gesichter. Angriffe von vorne und von hinten: Alle Mittel schienen
erlaubt: Die wüste Beleidigung, der drohende Revolver und abweisende Ignoranz
fesselten Sandros und Celine. Keiner ihrer Blicke traf sich. Denn keiner suchte
des anderen Augen. Doch erst Ilsas Tränen trieben die Hauptdarstellerin in Ricks
Arme.
„How much i still love you“,
weinte sie und sie küsste fest seine Oberlippe. Rick war verloren und
seine letzte Stärke zeigte sich in seiner linken Hand: Fest drückte er Ilsa an
sich heran.
Und Celine tat es Ilsa gleich. Sie drehte sich Sandros zu. Sah ihn an. Mit
festem Blick in seine Augen. Genauso wie bei Ilsa sollte es werden. Sandros
wurde Rick. Sah zu Ilsa. Und begegnete ihrem Kuss. Er saugte an Ilsas Oberlippe.
Später an ihrem Hals. Liebe wallte auf. Schwaden ungezügelter Gefühle knisterten
aufeinander. Film und Wirklichkeit vermischten sich zum reifen Traum. Zeit war
schon längst keine messbare Dimension mehr. Gedanken waren erloschen. Zitternde
Lippen und Vibration. Celine erwachte aus ihrer Umarmung. Sie hatte das Telefon
nicht ausgeschaltet. Es vibrierte in ihrer Hose. Vielleicht hört es gleich auf.
Sie irrte. Konnte nicht weiter küssen. Wollte es auch nicht. Sie wollte Sandros
nicht täuschen. Sie war ehrlich. Ihr war die Romantik verflogen. Sanft schob sie
Sandros zurück. Er verstand nicht. Sah sie an. Hatte er etwas falsch gemacht?
Celine sah ihn entschuldigend an. Sah aber nicht seine gefühlte Zurückweisung.
Vielmehr ärgerte sie sich über das Telefon. Sonst hatte sie es immer im Kino
ausgeschaltet. Wie konnte das passieren? Hatte Sandros sie abgelenkt? Sie
lächelte. Er sah ihr Lächeln. Wunderschön. Vielleicht sollte er sie wieder in
die Arme nehmen. Doch ihr Blick wand sich ab. Nach unten. Zum Telefon.
Gleichzeitig ging seiner nach oben. Jetzt war auch ihm der Zauber genommen. Die
Innigkeit verflüchtete sich schneller als der Atem seinen Rhythmus schlug.
Sandros trauerte um den Diebstahl seiner Gefühle. Celines Gesicht leuchtete vom
Schein des Bildschirms. Während sie las kreisten ihre Gedanken um Sandros: „Was
denkt er wohl von mir? Versteht er meine Ehrlichkeit?“ Sie ahnte nicht, die
Größe ihres Opfers. Und als sie Sybilles Namen las, erschien ihr der Anruf sehr
wichtig. Sie entschuldigte sich bei Sandros und verließ den Raum. Sandros blieb.
Sein Kopf war in verliebte Wirren und im „Casablanca“-Rausch ertränkt. Er folgte
den Bildern und dachte an Celine. An Telefone. An Frauen. An Lippen. An
Telefonsucht. Süßen Geschmack. Nordafrika. Kein Gedanke passte an den Anderen.
Ein Flickenteppich gewebt aus Hoffnung und Täuschung entstand. Kein einziger
Flicken verwies Sandros auf Celines Ehrlichkeit um derentwillen sie das Telefon
Sandros Süße vorgezogen hatte.
Draußen auf dem Flur rief Celine Sybille an. „Gut das Du anrufst“, hörte sie.
„Wo bist Du gerade?“, wurde sie gefragt. „Im TZH.“ „Wir müssen uns treffen. Ich
bin in der Nähe. Ich komme gleich vorbei.“
„Ist gut.“, gehorchte Celine. Sie stellte keine Fragen. Ein Instinkt hatte ihr
verraten, dass etwas unangenehmes in der Luft lag. Hatte sie es gehört? In
Sybilles Stimme? Sybilles Stimme war ihr sehr vertraut. Sie hatte einen
mütterlichen Ton. Für Celine. Sie kannte ihn seit sie lebte. „Ich warte unten.
Ich ruf Dich an, wenn ich da bin.“, hörte Celine und sagte: „Bis gleich.“ und
beendete das Gespräch. „Bis gleich...“, sprach Sybille in das tote Telefon und
war froh keine unangenehmen Fragen beantworten zu müssen.
Celine hatte der Mut zur Frage gefehlt. Sie ging zurück in den Filmsaal, schlich
sich gebückt zu Sandros, entschuldigte sich mehrmals bei aufstöhnenden Stimmen,
denen sie die Sicht nahm und sagte zu Sandros: „Ich muss weg. Sofort.“ Sandros
zog eine Miene, die Celine in der Dunkelheit verborgen blieb. „Sehen wir uns?“,
fragte er. „Ja“, versicherte ihm Celine. „Wo?“, fragte er. „Hier im Tor zum
Herzen“, hauchte ihm Celine zu. Schnell küsste sie ihn, er umgriff ihren Hals,
streichelte ihr Haar und als sie sich löste, sagte er „Bis bald“. „Bis bald“,
wiederholte ihre Stimme und verließ unter erneuten Flüchen gestörter Filmschauer
das Kino. Sie ging nach unten. Ihre Seele war getrübt. Sie hatte nur einen Hauch
neuer Liebe und eine ungewisse Zukunft vor sich. Sie ging zum Empfang und wurde
von Dimitri in ein Gespräch gelockt. Schnell kam es, das Celine ihm ihr Herz
ausschüttete. Er hörte ihr zu, konnte sich an Sandros erinnern und hielt ihre
Hand. Dimitri mochte Celine sehr gern. Und sein russisches Herz hatte ihr einen
Platz freigehalten. Dieser Platz schmerzte jetzt. Celine litt. Er bemühte sich
aufrichtig ihre unglückselige Stimmung zu teilen und mit ihr gemeinsam zu
tragen. Dennoch, so sehr er sich mühte, so vergebens war sein unterfangen. Der
Schwarze Wagen der Botschaft zerschnitt mit einer tausendmal verstörenderen
Nachricht und hellen Lichtkegeln die verregnete Nacht. Er näherte sich dem Tor
zum Herzen. Seine Nachricht „Dein Vater ist gestorben“ kam aus Sybilles Mund,
nachdem Celine sich in den Wagen gesetzt hatte und die Staatskarosse zum
Hubschrauberlandeplatz des französischen Konsulats fuhr. Celine war tränennass.
Und die Arme, die sie hielten ersetzten nicht zum ersten Mal ihre Mutter. Die
grässliche Gewalt ihrer Trauer nahm Besitz von ihrem Körper und überwand ihn
sogar. Im Tor zum Herzen erreichte sie Dimitri, der weiter seinen Dienst
verrichtete. Ihm wurde übel und ihn überkam die Ahnung, daß Celine etwas
zugestoßen war. Er versuchte sie anzurufen. Diesmal war ihre Empfindung so groß,
dass sie die Telefonvibration nicht spürte. Sandros Erregung war im Gegensatz zu
Dimitri nicht von Ahnungen befallen. Im Gegenteil, er war so in Casablanca
vertieft, dessen Ende er Celine beim nächsten Wiedersehen erzählen würde, dass
er es nicht bemerkt hatte: Der Mühlstein seines Traums hatte seine Prophezeiung
erfüllt.
von Martin Teuschel Zum Seitenanfang | |
Deine kleine Schnuppertour- Im Projekt Freiraum kann geduscht werden. Eine Dusche ist abgebildet.
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