Geschichten:
Radio TAT:
Serie : (kannst Du auch einzelnd lesen!)
und dazu gibt es viele Bilder |
Michele war müde. Es war sechs Uhr morgens. Zwei Stunden vor Schichtende. Es
war eine ruhige Nacht gewesen. Langweilig. Niemand
war gekommen. Immerhin hatte er seine
Hausaufgabe für die Uni fertig.
Das war immerhin etwas.
Michele starrte dem Sekundenzeiger hinterher. Er sah sich um. Zum
hundertsten Mal. Alles war so wie die neunundneunzig anderen Male. Langeweile plagte
ihn. Sie machte ihn unzufrieden und
ungeduldig. Er blätterte das Magazin durch, legte es beiseite und dachte über seinen Job nach. Es missfiel ihm für die
Haussicherheit zu sorgen. Michele mochte keine Sicherheitssysteme: Kameras in
Ü-Bahnen, Supermärkten, an Häusermauern und über Autobahnen waren
ihm unangenehm. Seine Privatsphäre wurde verletzt, sobald er sich in die
Öffentlichkeit begab. Das schien ihm unheimlich. Und jetzt saß er hier am Ende
solcher Kameras. Genau wie Millionen andere Sicherheitsbeamte. Das dieses
System wirkliche Freiheit und nicht die Freiheit kapitaler Werte sicherte,
schwächte seinen Widerstand. Ein guter Zweck. Trotzdem bedauerte er, das
selbst die Menschen im "Tor zum Herzen" beobachtet wurden. Benötigten
sie Kontrolle? Wozu? War er Handlanger geworden? Ja, das war er. Und das
hasste er an diesem Job.
Er verwarf die Gedanken und überblickte die Monitore. Er sah leere Räume. Bis auf die Küche.
Hier bereitete sich Elfried Essen zu.
Elfried
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Michele beobachtete ihn. Langsam, Elfried war müde, nahm er
Nussnougatcreme aus dem Küchenschrank und las das Schild. "Was liest
Du?", fragte sich Michele. Minuten schienen zu verstreichen, bevor Elfried
wegblickte und den Deckel öffnete. Messers Scheide tauchte in Nougat. Das Messer verstrich
zart Creme auf dunkles
Brot. Danach stellte er das Glas in den Schrank zurück, drehte sich um und
reckte sich zur Kamera. Sein Gesicht erschien im Monitor. Elfried zog die
Klinge zwischen die Lippen und leckte sie übertrieben ab. Dann winkte er
Michele zwinkernd zu. Michele fühlte sich erwischt. Elfried setzte sich an
einem Tisch und wandte der Kamera seinen Rücken zu. Als
Betrachtungsobjekt
zu langweilig. Wie die Nacht.
Elfrieds Aktion hatte Micheles Geist geweckt. Die Langeweile war
angeknackst. "Das freut also Sicherheitskräfte in der Nacht.", dachte
Michele. Seine Gedanken waren erweckt.
Seine Ablehnung von Wachanlagen widersprach seiner Tätigkeit. Dieses
Missverhältnis bewegte ihn, in der Hauschronik zu recherchieren. Warum
benötigte das "Tor zum Herzen", dessen Mitglieder Vertrauenswürdig
schienen, diese
Sicherheit.
Er fragte den Computer. Dessen künstliche Intelligenz ordnete automatisch
Kamerabilder auf den rechten Monitor, während nach Micheles Arbeitsweise
Findmittel übersichtlich verfügbar wurden.
Er fand heraus, das des Wachsystems Nutzen war, Personen vor Gewalt zu schützen.
Die Kameras reagierten auf Änderungen von Bewegungsgeschwindigkeiten, Lautstärken
und Sichtweiten. Auch Rauch. alarmierte unverzüglich den Portier. Dadurch musste das Personal
die Monitore nur gelegentlich anschauen, und konnte so beispielsweise Bewusstlose
retten.
Die erste Diskussion über Sicherheitsmaßnahmen gab es in der
Planungszeit. "Vertrauen ist Grundlage für das Miteinander im "Tor zum
Herzen"", einigten sich die Mitglieder und sparten Sicherheit aus. Bis
Vertrauen gebrochen wurde. Eine
mexikanische Touristin wurde im Duschraum vergewaltigt. Sie wurde erst
morgens gefunden: Schwer verletzt und ohnmächtig. Ein Schock. So etwas war
im "Tor zum Herzen" nie passiert. Ein Fremder? Ein Mitglied? Zweifel waren
gesät und Ängste geschürt. Michele las die Diskussionen nach. Sie waren sehr
emotional und nur wenige, fanden, das das "Tor zum Herzen" ohne Kameras
bleiben sollte. Der bezahlte Preis war sehr hoch. Die Mitglieder fanden ein
System, das die Kluft zwischen Privatsphäre und Überwachung überbrückte.
Schnell wurde das System entwickelt und in das häusliche
Netzwerk integriert.
Michele sah. jetzt mit anderen Augen. Dem Widerstand gegen diese
Arbeit war Verständnis gewachsen. Restlos überzeugt war er allerdings nicht.
Seine Gefühle wehrten sich.
Michele war froh, das es auch diese Nacht ohne Alarm blieb. Das war für alle gut. Er saß, wartete, sah
wieder auf Elfrieds Rücken bis ein lauter Ton seine Langeweile zerbrach. Kein
Alarm. Es klingelte an der Tür. Auf dem Monitor sah er einen müden Reisenden mit
großer Tasche.
Bevor er die Tür öffnete, betrachtete er sich im Spiegel, lächelte hinein
und sprach im Geiste zu sich: „Ja, ich werde den Gast freundlich
begrüßen. Meine schlechten Gedanken und Erlebnisse haben mit ihm nichts zu tun.“
Michele öffnete die Tür und hieß Sandros herzlich
willkommen.
weiter zum dritten Teil
von Martin Teuschel
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