Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010

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www.berlinerplakate.de: Sybille und Raymond von Martin Teuschel

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„Mach ich mit Leichtigkeit… ist `n Klacks“, gab Raymond vollmundig im Plenum von sich. Sybille dachte sich ihren Teil, behielt ihn für sich und hoffte inständig auf Raymunds Zuverlässigkeit.

 Er war eine unbekannte Größe und hatte zwei Monate Zeit. Die Zeit reichte Neuankömmlingen ohne Abschied zu verschwinden. Die Stadt war schwer und stets bemüht Neuankömmlingen Hindernisse in den Weg zu legen. „Vielleicht bringt er’s trotzdem“, dachte Sybille und ertappte sich dabei, dass sie sich zuviel Gedanken machte. Wieder einmal. Raymond hatte die Beine übereinander geschlagen. Übergroßes braunes Cordjackett, braune Cordhose. Cordbreite und Farbtöne verhinderten jede Harmonie. Dazu blaue Turnschuhe. „Unmöglich“, fand Sybille Raymonds Geschmack. Am Ende des Plenums kam das Unausweichliche. Raymond war darauf vorbereitet. Die anderen waren weg. Nur sie und er waren verblieben. Sechzig ungleich verteilte Lebensjahre. „Du hast ein tolles T-Shirt. Selbstgedruckt?“, fragte er. Er hatte Recht. Das T-Shirt war toll. Sein Spruch wirkte. Sybille freute sich über das Lob und war entwaffnet. „Ja“, sagte sie. „Machst Du oft solche Drucke?“ Jetzt lief das Gespräch an. Raymond redete viel, und noch wichtiger: Er kannte die Zeit des Schweigens und unterbrach den Zauber der Stille nicht. Stattdessen lächelte er und wartete. Wartete bis sie die Leere annahm und ihr etwas hinzufügte. Auf einmal sah Raymond auf die Uhr: „Ich muss jetzt los.“, behauptete er. Das war gelogen, doch er kannte sich aus und wusste , dass Sybilles Interesse geweckt war.


Die beiden gingen ihre Wege. Sybille ging in die Küche, Raymund nach nirgendwo. Erst zwei Tage später kreuzten sich ihre Wege. Raymond war erfreut, er erwartete viel von Sybille. Sehr viel. Er war verliebt. Sybille hingegen hatte Raymond schlicht und einfach vergessen. Während sie über Projekte und die Welt nachdachte, dann in ihren tiefen traumlosen Schlaf fiel, wälzte Raymond sich im Bett umher, beklagte die Hitze, seine Einsamkeit in der neuen Stadt und malte immer wieder Sybille mit seinem Geist. Bisher waren ihm Frauen Spielgefährtinnen, die Stunden in liebevollen Berührungen versüßten. Aber diesmal: Sybille , sie war ihm ernst. Gut, sie war deutlich älter als er. Aber sie hatte ihren Zauber, das gewisse Funkeln in ihren Augen und sie war kreativ. Die T-Shirts beeindruckten ihn. Jedes Mal, wenn er sie gesehen hatte. Nachts lag er im Bett und berührte vor seinem inneren Auge ihre Haare. Er strich ihre Strähnen zur Seite, legte seine Hand auf ihre Wange, griff ihren Nacken zog sie heran und legte seine Lippen auf ihre. Ihr gefiel das. Als er die Augen wieder öffnete, sah er sich um. Die Dunkelheit nagte vom gelben Schein der Straßenlaternen. Er sah sich um, sichtete seine spärlichen Habe und ärgerte sich über die Unordnung. Er schaltete das Licht an, räumte die Wohnung auf, wollte Sybilles Wohlgefallen. Wenn sie zu ihm kam. Natürlich würde sie kommen. Wieder siegte seine Fantasie in romantischen Bildern. Wie sie die Treppe hinaufliefen. Lachend in seine Wohnung kamen. „Der erste Eindruck zählt“, dachte er. Und suchte in seinen Kartons, die noch vom Einzug zeugten, Objekte, die sein kahles Zuhause verschönern könnten. Unruhig baute er das Nest, verschenkte keinen Gedanken daran, dass Sybille, schon ihr eigenes haben könnte.


Und jetzt: Endlich! Er stand vor ihr. Und sie hatte kein einziges Mal an ihn gedacht. Keine Sekunde. Das lag außerhalb seiner Vorstellungskraft und Sybille hatte keine Ahnung davon, wie sehr sie ihn verletzen könnte, wenn sie das erwähnte. Doch die Unüblichkeit über Sachen zu sprechen, die nicht passiert waren ließen Raymund das Wort. Sie trug ihre Haare anders als sonst. Hochgesteckt. Das gefiel ihm. Er sagte es. Sie war geschmeichelt. Kleine Aufmerksamkeiten gefallen immer. Auch fand Raymund gefallen an ihrem neuen T-Shirt. Ein Bauarbeiter, der fluchend sein Werk tat. Noch mehr Honig. „Nicht zuviel“, dachte er, „sonst trieft es.“ Und sie: Wieder bemerkte sie seinen braunen Cord. Die gleiche Hose, die gleiche Jacke. Sybille mochte keinen Cord. Cord kannte sie aus ihrer Kindheit. Ihre Großeltern hatten Cord getragen. „Doch vielleicht…“, verschwand der Hauch eines Gedanken im Nichts. Sie ließ sich in das Gespräch einwickeln. Die Körpersprachen verrieten mehr über beider Harmonie, als über Fremdsein. Raymond sprach von Reisen, Wein und Parties, während Sybille darüber nachdachte, ob dieser Luftikus das Projekt voran brachte oder bremste. „Wie weit bist Du mit dem Ballon?“, fragte sie. Raymond war verwirrt, ließ es sich aber nicht anmerken. Er behauptete, er hätte schon mit denen und jenen gesprochen, für Genaues wäre es aber zu früh. „Kennst du welche die helfen können?“, fragte er. Die richtige Frage. Sie gefiel Sybille. Offensichtlich hatte der junge Mann sich ernsthaft mit seiner Aufgabe beschäftigt. Und jetzt mühte er sich um ein Netzwerk. Das gefiel ihr richtig gut. Sie strahlte. Raymond wusste nicht warum. Aber er mochte ihr Strahlen. Er fand darin Anmut und etwas unwirklich Göttliches. Raymond schloss Sybille noch mehr ins Herz, als er es zuvor getan hatte. Der Wunsch nach Einssein wuchs. Sybille nannte ihn Namen, die er sofort vergaß. Alle waren ihm fremd. Dafür kannte er einen anderen: „Kommst Du mit: Auf ein Bier ins Fass?“ Sybille hatte nichts Besseres vor und nahm die Einladung an.


Im Fass mischten sich Kerzen, Rauch, Stimmengewirr und leise elektronische Musik. Die Tür öffnete sich, Kälte suchte sich schnell ihren Weg und Rauch wich in den Regen. Raymond hielt die Tür geöffnet und Sybille ging an ihm vorbei. Ihre Schultern waren naß vom Regen, dessen kräftige Flatschen wütend auf die Scheibe schlugen und in Strömen die Sicht nach draußen erschwerten. Sybille schüttelte sich. Ihr war kalt. Schnell zog sie ihre Jacke aus, hängte sie auf und ging zur Toilette.


Raymond sah ihr hinterher und sich dann um. Freie Plätze gab es nicht. Der Regen hatte die Kneipe gefüllt. Also ging er an die Theke und reservierte Sybille einen Hocker. Auch wenn er nicht gern an der Theke saß. Lieber hätte er ihr gegenüber gesessen, ihre Hand gehalten und schmachtend Blicke zugeworfen. Aber der Regen hatte ihm das zunichte gemacht. Er wartete. Nur das blieb ihm. Warten auf die Geliebte. Diese war verschwunden. Er drehte sich von der Bar weg, sah auf die Uhr. Dort träufelte die Zeit. Mitten im Fass verrannen Sekunden in einer riesigen Sanduhr. Sekunden füllten Minutengläser, diese die Fünfer, die wiederum die Zehner stürzten. Dieses wiederholte sich fünfmal, um als nächstes ein Stundenglas zu kippen. Bis zum Tagesende fiel unterschiedlich gefärbter Sand durch Stunden- und Zehnergläser. Ein ausgeklügelte Mechanismus verursachte das Kippen der Zeitgläser. Unwissende verstanden das System nicht und fragten sie danach, wurden sie freundlich auf die erklärende Tafel des Erfinders Erwin Rintsch hingewiesen. Dort erklärte ein Metallbuch die Funktion und warb für das „Tor zum Herzen“. Raymund hatte es gelesen und viele andere auch. Ein weiteres Glas kippte. Raymund sah das und für ihn etwas viel wichtigeres. Spiegelnde Reflexe des hellen Toilettenflurs, gelangen aus der geöffneten Tür. Er wand seinen Kopf dorthin, sah wonach er sich sehnte und wurde durch eine Frage aus den Gedanken gerissen. „Was trinkst Du?“, kam von der Theke. Raymund antwortete nicht. Seine Aufmerksamkeit galt Sybille, die den Raum betrat. Für Raymond umgab Sybille eine hell leuchtende Aura. Sybille ging zu Raymond. Sie dachte an Anna. Anna war gerade in Paris und hatte sie gebeten auf Celine aufzupassen. „Wie lange würde Anna wohl diesmal bleiben?“ Wie immer war es auch diesmal ungewiss. Das war auch unwichtig. Es war leicht auf Annas Tochter aufzupassen. Celine machte keine Schwierigkeiten. Sybille kannte Celine gut und vertraute ihr. Blieb sie länger als erwartet fort meldete sie sich ab. Und mit der Schule nahm sie es genau. Sie hatte Interesse am Lernen, schrieb gute Noten und machte stets ihre Hausaufgaben. Und wenn Celine sich nicht meldete, war sie im Tor zum Herzen und hatte die Zeit vergessen. Das war okay. Für Sybille und Anna. Sybilles Schritte näherten sich Raymund. „Cord. Cord. Cord. Warum nur Cord?“ Vielleicht sollte sie ihn darauf ansprechen. Vielleicht… ? „Sybille erschrak innerlich. Warum machte sie sich solche Gedanken. „War er … Ach, Quatsch“, unterbrach sie den Gedanken. „Nett, aber unsexy. Und viel zu jung.“, ging ihr durch den Kopf und brachte sie zum Lächeln, das Raymond freudig aufnahm, während Rita auf die Bestellung wartete. Und wie Rita wartete „Hey stehste nur rum? W-A-S willst Du?“ Sybille erreichte die beiden und bestellte „Zwei Pils, bitte.“ Raymond hatte was verpasst. “Oh Mann!”, fuhr es ihm durch den Kopf. Er wollte doch alles gut machen.


Rita machte sich mit ihrer Bestellung davon und zog den Zapfhahn. Sybille grinste. „Eingeschlafen?“ „Nein, äh… ich hab an was anderes gedacht.“ „Du lädst mich ein und denkst an was anderes? Dankeschön.“ Sybille zog einen Schmollmund. „Nein, Nein…“, stammelte Raymond weiter „Es war nur…“ „Was?“, unterbrach ihn Sybille mit spitzer Neugier. Es entstand Stille. Selbst das Lied von Ritas CD pausierte. Kurz. Dann wummerten Beats weiter. Raymund nutzte den Wechsel zu einem ablenkenden Scherz, über den beide lachten. Schnell wechselte das Thema, Worte verkümmerten zu Beiwerken physischer Interaktion, die Seelen näher brachte. Doch da gab es noch eine andere Seele. Sybille wurde stocksteif. Ihr wurde kalt: „Anna“, sagte sie. Ihr Telefon klingelte.


von Martin Teuschel

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