Unkommerzielle Arbeiten von John-Martin Teuschel (JOMT) bis 2010

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Der blaue Pfeil war zu Ende. Sandros hatte den Ausgangspunkt erreicht und fand dort Michele. Dieser hatte den Spanier erwartet. Er stellte die Zentrale auf Funk, steckte den Pieper ein und klemmte Bettbezüge für Sandros unter den Arm. Nachtreisende wollten oft schlafen oder suchten Ruhe. Dafür eigneten sich die Aufenthaltsbereiche: Sie wurden morgens kaum genutzt und boten ein mittelmäßigen Komfort, der übermüdeten meist zum Schlafen reichte. Michele dachte an einen abgelegen Ort, da eine Schulklasse zu Gast war. Die würde bald frühstücken und einen großen Lärm zaubern. Dagegen würde die übliche Stille verlieren. Das kam dem Italiener durchaus gelegen, denn er konnte den Weg mit der Hausführung verbinden. Sie gehörte zu den Einführungen für neue Mitglieder.
Der italienische Portier rief:
„Sandros, warte nebenan. Bei der Treppe. Ich komme zu Dir.“
Sandros folgte Micheles Handsignal. Er ging zur Treppe. Links von ihr öffnete Sandros die Tür. Er fragte: „Rauchst Du?“
„Ja. Aber ich weiß: Draußen…“, antwortete der Schwarzhaarige.
Michele wies ab. „Nein, das war früher. Wenn Du rauchen willst, geh durch diese Tür. Immer den Gang nach. Da ist das Raucherzimmer.“
„Ihr habt eins?“
„Ja, neuerdings.“sticker
Sandros wunderte sich, wohl ahnend, dass sich Unerwartetes häufen würde.
„Und das ist der Raum der Stille.“, wies Sandros zur gegenüberliegenden Tür. Wenn du Ruhe suchst, ist das der perfekte Ort. Um die Stille zu halten, ist der Raum schallisoliert. Sprechen ist dort verboten.“ Er legte die Hand auf die Lippen. „Gesten sind erlaubt.“
„Kann ich da schlafen?“
Sandros Ungeduld. Michele spürte sie. Es war Zeit für reinen Wein.
„Nein, dort nicht. Stille und Schnarchen sind sehr unterschiedlich. Ich zeig Dir einen guten Platz. Doch vorher zeige ich dir das Haus und am Ende sind wir da.“
„Hm,…“, war spanisch.
Michele vernahm den Ton und beteuerte, dass nähere Räume zu laut wären. Der Portier öffnete die Tür zum Brunnenzimmer, eine Augenweide im „Tor zum Herzen“.

„Wir haben eine japanische Gehörlosenklasse zu Gast...“, fuhr er fort.
Sandros war zu müde für Fantasie und unerfahren im Umgang mit Kindern. Von Gehörlosen wusste er nichts. „Ja, und?“, dachte er und fragte: „Ach, so?“ mit einem langen Fragezeichen, welches dem Italiener erlaubte zu antworten. Doch dieser schwieg, weil er Sandros Eintreten ins Brunnenzimmer geräuschlos genießen lassen wollte. Neun Meter in der Breite, neun in der Länge maß der zentrale Aufenthaltsraum. Sandros staunte. Ein riesiger Springbrunnen in der Zimmermitte. Die Pracht römischer Fontänen. Wasser entfaltete den typischen Glanz des Marmors. Unrömisch waren zwei wesentliche Details. Es fehlte das rauschende Strömen. Eine geringe Wassermenge führte den Männern zartes Plätschern leise ins Ohr: Das Geräusch kleiner, seicht den Stein benetzender Wasserflüsse, die an vorbestimmten Abhängen in die Tiefe fielen und dort wieder Marmor kleideten. Das zweite unrömische Detail lag in der Fertigung nach Osloer Vorbild. Weder Götter, Helden noch Beamte waren dargestellt. Es waren Menschen. Nackt, modern und zeitlos. Dick, dünn, alt, jung, schön und hässlich. Eng miteinander verschlungen und verdreht ragten sie kegelartig hoch und reckten dort die Arme aus, damit hier das Wasser seinen Ursprung fand und durch genitale Gebirge und busische Täler floß. Dreihundertsiebenundzwanzig verschmolzene Körper. Die einen im Lauf und stehend nach Ausschau haltend, andere zusammengerollt oder sitzend. Manche waren in Gänze gezeigt, andere versteckt, dass nur ein Ellbogen sichtbar war. Das Wasserbecken, erlaubte es auf die Hinterbacken, die den Rand bildeten, zu sitzen. Von dort sahen verstreute Geister und aufmerksame Beobachter die asymmetrische Rosenblüte,sticker die fallender Rinnsal in die Wasseroberfläche schnitt, um dann in kleine Wellen zu verschwimmen. Der Wasserfall kannte keinen Zufall. Im Gegensatz zu der steinernen Menschlichkeit fehlten im restlichen Raum Menschenbilder. Arabischer Stil fand sich auf Wänden und Mobiliar. Der Raum, war in zwei Ebenen unterteilt.
Die obere, zwei Meter breite Ebene, ein guter, aber vom Gästelärm sehr abhängiger Ruheplatz, teilte den Raum im unteren Drittel seiner Höhe. Diese Ebene wurde durch dunkle Säulen, deren Schräge und aufmontierte Leitersprossen, das Erklettern ermöglichte, fast zwei Meter hoch getragen. Unterhalb dieser Ebene formten die Säulen Bögen, und gaben unten Sichtschutz. Oben verhinderte die ein Meter zwanzig hohe Brüstung fremde Blicke. Der untere Bereich wirkte katakombenhaft, nur heller: Beigefarbenes Mauerwerk und bunt gehalten Muster vermittelten arabische Wohligkeit in höhlenähnlichen Sitzecken. Sandros war an die maurischen Einflüsse seiner Heimat erinnert. Um den Raum, nur durch Türen getrennt, führte eine Sitzbank. Von zufälliger Hand letzter Sitzender hinterlassene Polster und nierenförmige Beistelltische verteilten sich davor.
Das Mauerwerk war bemalt und modelliert. Der optische Kunstgriff täuschte Sandros vor, er stehe unter einer Kuppel. Sandros staunte.
„Rechts ist der Rollstuhlfahrerbereich, für Dich glücklicherweise uninteressant und links, vermutlich genauso unwichtig das Kinderzimmer. Den Schlüssel dafür haben wir.“ „Nein, Danke, kein Bedarf“, antwortete der Schwarzhaarige. „ War mir klar.“, sagte der Tätowierte: “Vor Dir, und da müssen wir durch, ist das Herzstück des Hauses: Die Küche.“ Michele öffnete die Tür. Und wie jedes Mal, wenn er neue Mitglieder durch das Haus führte, erfasste ihn Stolz. Es mochte das Haus. Die beiden traten in die Küche. Anders als das Brunnenzimmer war ihre Prägung modern. Glatte, leicht zu reinigende und zu reparierende Materialien dominierten. Die Küche war genauso groß, wie das Brunnenzimmer und im übrigen, wie die meisten Gemeinschaftsräume quadratisch. Große Fenster ließen Licht für die reiche Begrünung, und erinnerten Sandros an Madrids Bahnhof. Er atmete tief ein. Der grüne Duft verdeckte Küchengerüche. Direkt vor den beiden befand sich der riesige Gasherd. „Vierundzwanzig Gasflammen!“, zählte der Neuankömmling begeistert. „Damit können Gruppen kochen.“, erwähnte der Italiener. Und zog betonend die Augenbrauen hoch. Dabei, Sandros sah es ganz deutlich, zog sich das linke Augenlid durch eine schlecht verheilte Narbe zum Ohr schräg hoch. Vor den Gasreihen befand sich, mit Drehknöpfen für Herd und öfen, die dreißig Zentimeter breite Arbeitsplatte, die Zubereitung der Nahrungsmittel und gleichzeitiges Kochen erlaubte. An jedem Ende des Herdes, der von einer Abdunsthaube überdacht war, befanden sich zwei Waschbecken, die den Herd rund abschlossen. Wasser für die Waschbecken kam aus vier Schlauchbrausen. Michele zog eine heraus und zeigte Sandros ihre flexible Handhabung. Das Wasser kam auf Knopfdruck und hörte beim Loslassen sofort auf. „Damit sparen wir das Wasser, das wir beim Brunnen verbrauchen.“ „Wie bei den Duschen“ „Genauso“, grinste Michele. „Wenn Du zweimal schnell drückst, hast Du dreißig Sekunden Wasser. Zum Händewaschen“, fügte er hinzu. Er hing den Schlauch zurück. „So geht es natürlich auch.“ Er drückte kurz den Knopf. Das Wasser floss ins Becken. Unter den Arbeitsplatten des riesigen Herdes befanden sich Backöfen und über ihnen Schubladen. „Die sind für Müll, nicht für Geschirr“. Sandros nahm seinen geschmacklosen Kaugummi aus dem Mund, öffnete die Schublade, warf ihn rein und schloss sie wieder. „Ist praktisch beim Kochen.“ Er öffnete die Schublade erneut: „Siehst Du: Keine Reste. Der Kaugummi ist weg.“
„Gute Idee“, fand der frisch, duftende Madrider.
„Ja, und noch besser: Das System läuft ohne Strom. Die Antriebskraft des mechanischen Systems wird nur durch Bewegung der Schublade gewonnen.“sticker
Sandros fragte nicht nach. Bruder Schlaf nagte. Sein leerer Blick folgte Michele, der Schubladen und Schranktüren öffnete. Geschirrspülmaschinen, Besen, Putzmittel, Geschirr, Besteck und Kühlschränke wurden sichtbar. Letzterer „Inhalt“, wies er hin, „ist Gemeinschaftseigentum. Also: Iss schnell oder teile großzügig. Abgelaufenes landet im Müll. Einmal pro Woche.“ Sandros hatte keine Augen mehr für die Touchscreens, die unter den Tischen bereitstanden und er unterbrach den geführten Redefluss. „Tut mir leid, Michele, ich bin müde. Ich möchte schlafen…“ Michele sah ihn an. Mitleiderregend. Michele fühlte mit den spanischen Augen. „Eine Minute noch.“ Sandros fürchtete, dass eine Minute in Italien lange dauert. Vielleicht, sollte er sich hinsetzen, den Kopf auf den Tisch legen und einschlafen. „Wollte… Könnte… Sollte…“ Sandros Gedanke wurde unterbrochen. Die Rettung. Oder nur neues Martyrium? Auf jeden Fall war es sehr laut. Die Tür zur Küche wurde aufgerissen und Kinder stürmten hinein. Die Erde bebte. Trampeln, Kreischen und Lachen füllte den Raum. Unglaublich laut nahm die Gruppe von dem Raum Besitz, riss die Schubladen, klapperte mit Geschirr und schlug Schranktüren krachend zu. Sandros war fassungslos. „Wo bin ich gelandet?“, schrie es in seinem Kopf: “Wo? Wo?“ Natürlich lautlos. „Dort drüben ist der Sportraum.“ Michele zeigte zur linken Tür und riss Sandros am Arm in den rechten Raum. „Was war das?“, fragte Sandros. So laute Japaner waren ihm unbekannt. „Gehörlose. Die hören weder sich noch ihren Lärm.“, erklärte Michele und schloss die Küchentür. Erstaunlicherweise wurde viel Schall geschluckt. „Komm, weiter!“ Sandros hatte keinen Einwand mehr. Vermutlich hatte der auch keinen Sinn. Wie könnte er schlafen, wenn Taifune brausen? Der rechts gelegene Aufenthaltsraum war wie die Küche tropisch bepflanzt.
“Das ist der zweite Aufenthaltsraum. Gut zum Essen und Quatschen. Und die Treppe“, Michele zeigte zur anderen Seite des Zimmers, „müssen wir nehmen.“ Die beiden gingen hoch und erreichten die Galerie. Michele zeigte dem fast Schlafwandelnden kurz die Seminarräume, den Kommunikationsraum und die Werkstatt. „über uns sind Personalwohnungen. Für dich verboten. Für mich nicht. Ein Privileg.“, sprach er mit spitzem Unterton den Sandros überhörte. „Und ganz oben ist die Dachterrasse. Da wollen wir hin.“ Sandros glaubte Michele alles. Er fühlte sich ausgeliefert. Nur bedingungsloses Vertrauen konnte ihm helfen. Dachte er. Auf dem Dach empfing sie die Sonne und die Sicht auf Berlins Dächer entfachte neue Lebenskraft. Sie gingen in das Penthouse. Darin stand ein Sofa und dieses, betete Sandros, würde seine Strapazen entschädigen. Die breite Liegefläche reichte Sandros Körper. Auch die Länge stimmte, maß sein Auge schnell und glücklich. Sandros sah sich um. „Hier?“, fragte er sehnsüchtig. „Und wenn nicht, komm ich wieder her!“, fuhr ihn durch den Kopf. „Ja, hier. Du wirst sehen, bis nachmittags bist Du ungestört.“ Michele gab Sandros das Bettzeug, dass er die ganze Zeit unter dem Arm getragen hatte. Michele wünschte Sandros goldene Träume und ging. „Goldene Träume?“, wunderte sich Sandros. Doch er fragte nicht. Die Tür fiel zu. Er war allein. Er bezog das Sofa und ließ sich fallen.
Schnell fühlte er sich bequem und hinter seinen Augen wartete die Dunkelheit.

Die Dunkelheit führte Sandros in die sternenklare Nacht. Ein schwarzer Himmel umrahmte die Klarheit des Mondes. Der Mond leuchtete hell. Die Welt erbleichte in seinem Licht. Nah, fast greifbar schien der Trabant, dessen Größe Sandros lunare Gebirge erkennen liess. Er hatte sie oft in Büchern gesehen und kannte ihre Namen. Kein Krater verbarg sich vor dem Spanier. Während der junge Mann in den Mond und eine Million Sterne starrte, spürte er Veränderung. Die Nacht verwandelte sich. Tropfen platzten auf die Erde. Laut hörbar schlugen sie zu Boden. Es begann zu regnen. Der wolkenlose Regen fiel langsam. Große Tropfen fielen deutlich an Sandros Augen vorbei. Er staunte. Im gedämpften Flug segelten sie hinunter. Er sah genau hin. Bleich und weiß. Wie Meerschaum. Der Himmel gebar kleine, weiße Quallen. Ihre geligen Körper schillerten im Mondweiß und vereinigten sich auf der Erde in Pfützen. Sandros stand schutzlos im Unwetter und hoffte, dass die Tentakel ihn verfehlten. Er fürchtete den brennenden Schmerz. Das ihn noch keine getroffen hatte, bedachte er nicht. Diese Tatsache verbarg die Angst vor ihm. Er sah sich um. Suchte Unterschlupf. Ein Dach. Einen Baum. Vergeblich. Der Regen blendete ihn mit silbernen Reflexionen. Als das Licht stärker wurde, hob er den Kopf. Sandros reckte das Gesicht den fallenden Medusen entgegen. Sein Kopf kippte langsam zum Nacken und sein Gesicht hob sich mondwärts. Er sah hin und erkannte die Quelle wachsender Helligkeit. Der letzte Zyklus setzte ein. Vollmond. Sandros erlag der Einzigartigkeit. Stark hob Vibration seine Haut. Ergriffen stellten Haare sich auf. Dann der Mond. In seiner Fülle, genau in der Mitte wuchs ein schwarzes Loch. Kamen die Quallen von dort? Sandros sah sich um. Keine Wolken. Und am Ende der Gedankenkette versiegte der Regen. So plötzlich wie er angefangen hatte. Die Sterne waren wieder sichtbar. Der Mond hatte sich noch mehr geändert. Sein Umfang wuchs in genauso schnell wie das Loch in seiner Mitte.sticker Die Gebirge des Mondes verzerrten sich. Große Schattenreihen wurden zu grauen Schlieren. Der Mond wurde ein Mühlstein. Er wuchs weiter, erhellte die Nacht, überblendete mit farbiger Dämmerung Dunkelheit und erweckte erste Vogelstimmen. Tau fiel vom Gras und benetzte nackte Füße kalt. Die Welt erwachte und Sandros stand auf ihr. Getragen von einem hohen Berg genoss er den prächtigen Tagesanbruch. Die Dämmerung färbte Sandros Traum. Seine Neugier führte ihn den Berg hinunter. Unten gab es neben Gras auch Wasser, das, wie er aus seiner erhabenen Lage deutlich sah, ein Fluss unermüdlich ins Tal trug. Zur Linken und zur Rechten begleiteten blühende Bäume das Gewässer. Als Sandros im Tal ankam, sah er einen dunkelhäutigen Mann. Dieser trug einen Turban, den ein feuerroter Rubin zierte. Sein Schoss verdeckte ein Blumengesteck. Sandros fand, das es so aussah, wie ein Bonsaiabkömmling der anderen Bäume, die aus der Ferne klein ausgesehen hatten. Vor dem Fremden wuchs eine Pfingstrose und die Haltung des Mannes führte Sandros zu der unwichtigen Frage, wer, Blume oder Mann, zuerst da war.
Sandros ging zu ihm und sah, dass die Dunkelheit der Haut von der umfassenden Tätowierung stammte. Erst Sandros Nähe offenbarte durch den Körper gestochene Nadeln und Ringe und die dünnen Fäden, die sie mit den Bäumen verbanden. An der Haut aufgehängt schwebte der Mann im Lotussitz vor der Pfingstrose über ein Nagelbrett. Die Spitzen berührten ihn sanft. Piercing befremdete Sandros und diese Situation erschreckte ihn. Trotzdem, die Neugier leitete ihn, kam er näher. Er spürte statt Angst den Wunsch zu helfen. Vielleicht war der Mann unfreiwillig in diese unbequeme Lage gekommen. Sandros stellte sich vor dem Mann. Nur die Pfingstrose lag zwischen den beiden.
„Brauchst Du Hilfe?“, fragte Sandros. „Nein, nein…“, winkte der Mann ab. Seine Handbewegung versetzte die Fäden in Bewegung. Sie spannten den Körper. Unnatürlich zogen Haken seine Haut straff. „Was machst Du da?“ „Ich beherrsche den Schmerz.“ „Na, toll…“, sagte Sandros verständnislos und dachte „Ups.“ „Ich kann Dir wirklich helfen“, bot Sandros erneut an. „Das ist doch unbequem…“ Der Mann tat Sandros leid. Doch das änderte sich schnell. Sandros sah ein Funkeln in den Augen des offensichtlich Verrückten, und jetzt hoffte er, dass seine Worte ungehört waren. Das Funkeln verursachte Unbehagen. Aber sein Angebot war gehört worden.
„Auf meiner linken Schulter ist noch ein kleines Stückchen Haut. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du mir die Pfingstrose dorthin tätowieren könntest.“
„Wer? Wie? Was? Ich?“, schoss Sandros durch den Kopf. Sein Mund klappte auf und sein linker Zeigefinger klopfte mit der Fingerkuppe schnell auf seine Brust.
„Du zeichnest gut!“, wusste der Mann.
„Wie konnte der das wissen?“, fragte Sandros sich und entschloss, Prinzipien und Skrupel außer Acht lassend, dem Wunsch zu folgen. Ausserdem sah er nichts, dass nach Tätowierwerkzeug aussah. Scheinheilig fragte er:
„Womit denn?“
„Zieh die Nadel aus meiner linken Brust.“
Sandros ekelte sich: „Nee, nicht…“ „Kein Problem.“, sagte der Tätowierte im Lotussitz „Ich gebe sie dir.“
Er bewegte seine rechte Hand zu seinem Herzen. Die Fäden begannen wieder zu wackeln. Je näher die Hand der Nadel kam, desto mehr wurde seine Haut vom Metall gezerrt. Sandros konnte nicht mehr zusehen: „Ist gut, ich mach es.“, sagte er schnell. Der Aufgehängte grinste. Führte seine Hand wieder zurück. Wieder wackelte die ganze Konstruktion. Haut wog hin und her. Sandros fürchtete ihr Zerreißen. Als die Schwingungen abgeebbt waren ging er an ihn ran und griff die Nadel: Er berührte sie. Auch an ihr waren Bänder gespannt. Er kämpfte gegen seinen Widerstand. Im Geiste sah er Risse, die sich in die Haut zogen, und dort unter starker Kraft zu kleinen Blutbächen wuchsen. Bis das Fleisch schwach wurde und dunkelrot aufklaffte. Sandros öffnete seine Augen. Er schüttelte sich. Und griff mit Zeigefinger und Daumen entschlossen die Nadel. Fest drückte er das Metall zwischen seine Fingerkuppen. „Zieh“, schrie der Mann. Sandros erschrak. Zog im Reflex. Bänder lösten sich. Der Fakir stürzte ins Nagelbrett. Dann schrie Sandros. Laut. Sein Schrei riss ihn aus dem Traum.

Und seinem Schrei folgte ein weiblicher.sticker
Er öffnete die Augen. Sah sich um. Musste sich orientieren. Aus der Traum. Er setzte sich aufrecht hin und sah in einem Sessel eine junge Frau mit mediterranem Teint. Erschrocken sah sie ihn an. Ihre Hand lag noch erschrocken auf ihrer Brust. Vor ihr lag ein Buch auf dem Boden. Sandros ging zu ihr, hob das Buch auf und hielt es vor sie. „Deins?“, fragte er auf Englisch. „Ja. Wachst Du immer so auf?“ „Ich hatte einen seltsamen Traum.“, sagte Sandros. Ohne ihre Frage zu beantworten. Das Mädchen war neugierig. Und Sandros kam nicht umhin ihr den Traum zu erzählen. „Meinst Du das hat etwas zu bedeuten?“, fragte Celine.

Sandros log. „Nein.“ In Wirklichkeit wusste er es besser. Am schlimmsten war der Mühlstein. Mühlsteine kündigen den Tod an. Sandros verstand viel von Träumen. „Ich glaube doch.“, sagte Celine. „Träume haben immer eine Bedeutung.“ „Mag sein.“ Sandros sah sie an. Er fand sie wunderschön. Was sollte er sagen? Sollte sie ihn für einen Spinner halten? Er wollte nicht über den Tod sprechen. Und auch nicht über die Bedeutung seines Traums. Deshalb fragte er nach ihrem Buch.
 

Hier gehts zum fünften Teil dieser GeschichteWeiter in Teil 6

von Martin Teuschel

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Deine kleine Schnuppertour
  • Im Projekt Freiraum kann geduscht werden. Eine Dusche ist abgebildet.
  • Abbildung: Sauberkeit in Bad und WC. Ein Desinfektionsspender für die Toilette zum einfachen Gebrauch.
  • Böse Blumen: Ein Geschichtensammlung im PDF - Format
  • Glaube, Liebe, Hoffnung: Christliche Werte mit Tusche gezeichnet.
  • Sandra meint: "Was du hier schreibst ist Kitsch. Manchmal wünschte ich[..] eine Internetprüfung!" Was meinen andere?
  • Streetart zum Berliner Straßenkunstfestival Berlin-Lacht 2007 mit der Kurzgeschichte Straßenkunst
  • Berlin: Superstar Boxi spielt mit Styropor Stadtbau. Und baut dabei reichlich Tower 
  • Comic :Umzug in Berlin. Freunde helfen. Professionell ist das selten. Dafür gibts Renovierungstipps.
  • Ein Projekt das Gesundheit, soziale und informelle Gerechtigkeit, religiöse Toleranz und Integration fördern und fordern will, kann zur Verwirklichung seiner Ziele Grundregeln definieren.
  • Kurzgeschichte: An der orientalischen Bühne beim Karneval der Kulturen gab es wieder ein tolle Show.